Eine (kurze) Geschichte der Liebermann-Villa
„[…] ich möchte ein Landhaus, das sich ein Städter gebaut hat. Wie überall ist das einfachste das schwerste.“
(Max Liebermann an Alfred Lichtwark, 26. Juli 1909)
Von der Großstadt an den Wannsee
Um 1900 machte sich beim Berliner Großbürgertum eine Mode für Landhäuser bemerkbar. Im Jahr 1909 gelang es auch dem berühmten Maler Max Liebermann (1847–1935), eines der letzten Wassergrundstücke der Villenkolonie Alsen am Wannsee zu erwerben. Dort schuf er mit viel Liebe zum Detail abseits der Großstadt einen Rückzugsort für seine Familie – die heutige Liebermann-Villa am Wannsee. Zwischen 1910 und seinem Tod im Jahr 1935 verbrachten die Liebermanns ihre Sommermonate am Wannsee in ihrem „Schloss am See“, wie Liebermann dieses in einem Brief an den Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt (1863–1944) im Juli 1910 beschrieb.
Alfred Lichtwark
Im Jahr 1909 erwarb Max Liebermann sein Grundstück in der in der Villenkolonie Alsen am Wannsee. Mit seinem Freund Alfred Lichtwark (1852–1914), dem damaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, gestaltete Max Liebermann seinen Garten bis ins kleinste Detail. Die erhaltenen Briefwechsel bezeugen ihre reiflichen Überlegungen.
Die Gestaltung
Die Gestaltung der Villa im Stile des Hamburger Klassizismus übernahm der Architekt Paul Otto Baumgarten (1873–1947). [1] Das Haus positionierte er in der Mitte der beiden länglichen Grundstücksparzellen, um den Garten räumlich zu gliedern. Zur Straße hin ließ er einen Nutzgarten nach dem Vorbild norddeutscher Bauerngärten anlegen. Das Gelände des seeseitigen Gartens wurde mit einer prachtvollen Blumenterrasse ausgestattet. Ein weiteres Highlight des Gartens sind die akribisch zurechtgeschnittenen Heckengärten – damals ein wichtiges Instrument der Gartenreformer. Ihre Idee war es, mit den Hecken zusätzliche architektonische Räume unter freiem Himmel zu schaffen.
Ort der Inspiration
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte Liebermann seine jährlichen Malaufenthalte nach Holland nicht mehr antreten. Stattdessen fand er für sein künstlerisches Spätwerk in seinem eigenen Garten einen einzigartigen Inspirationsraum. Über 200 Ölgemälde und zahlreiche Arbeiten auf Papier entstanden, die seinen Wannseegarten in aller Farbpracht darstellen.
Nationalsozialistische Bedrohung
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete einen tiefen Einschnitt in das Leben der jüdischen Familie Liebermann. Nach dem Tod Liebermanns im Februar 1935 verbrachten seine Ehefrau und die Familie der Tochter Käthe keine längeren Aufenthalte mehr am Wannsee. Im Jahr 1938 gelang Käthe mit ihrem Ehemann und ihrer gemeinsamen Tochter Maria die Emigration in die USA. Martha Liebermann dagegen entschied sich, in Berlin zu bleiben, wo sie mehr und mehr Opfer der sich verschärfenden Verordnungen des NS-Regimes gegen die jüdische Bevölkerung wurde.
Zwangsverkauf der Wannseevilla
Im Jahr 1940 musste Martha Liebermann auf Druck der Nationalsozialisten hin die Villa am Wannsee an die Deutsche Reichspost verkaufen. Die Post richtete dort ein „Lager für die weibliche Gefolgschaft“ ein. Den viel zu niedrig angesetzten Kaufpreis musste sie auf einem Sperrkonto hinterlegen. Marthas übriges Vermögen zog der Staat ein.
Durch den Zwangsverkauf wurde Liebermanns Garten fast völlig zerstört und mit dem Garten der benachbarten Villa Hamspohn zusammengelegt. Der von Anbeginn gepachtete nördliche Teil des Grundstücks, auf dem der Künstler die Heckengärten pflanzen ließ, wurde 1941 zugunsten eines direkten Zugangs zum See als Löschwasserweg für die Feuerwehr wieder abgetrennt.
Marthas letzter Brief
Berlin, 4. März 1943
„Donnerstag,
Verehrter, lieber Herr Alenfeld,
ich bin ganz durcheinander! Die Bank hat nicht mal die kleine Summe gezahlt, ohne einen freundlichen Besuch wäre ich ohne Geld ! – Dazu macht man mir von allen Seiten Angst wegen Abtransport! Ich erwarte Sie sehnlich, Herr Dr. Landsberger sollte ja kommen!
Bitte, bitte Antwort
Ihre dankbare Martha L.“
Handschriftlicher Vermerk von Erich Alenfeld:
„abgeholt 5.III.43/morgens! Gift genommen!“
Martha Liebermanns Schicksal
Erst als eine Flucht aus Deutschland schon beinahe unmöglich geworden war, versuchte auch Martha Liebermann Deutschland zu verlassen. Sie nahm Kontakt zu Freund*innen in der Schweiz und in Schweden auf und bat sie um Hilfe, ihr ein Visum für die Einreise zu beschaffen. Trotz aller Bemühungen scheiterten ihre Versuche zu emigrieren. Am 5. März 1943 nahm die 86-Jährige eine Überdosis an Schlafmittel, um ihrer Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt zu entgehen. Sie verstarb wenige Tage später im Jüdischen Krankhaus in der Iranischen Straße und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Später fand eine Umbettung zu ihrem Ehemann auf den Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee statt.
Die Villa als Krankenhaus
In den letzten Kriegsmonaten diente die Villa am Wannsee als Lazarett und überdauerte den Krieg wie die meisten Anwesen in der Villenkolonie Alsen. Nach 1945 richtete das Städtische Krankenhaus Wannsee dort und in der benachbarten Villa des AEG-Direktors Johann Hamspohn (1840–1926) die chirurgische Abteilung ein. Das ehemalige Atelier Liebermanns im ersten Obergeschoss wurde als Operationssaal genutzt und somit verschwand das charakteristische hohe Tonnengewölbe hinter der abgehängten Decke.
Vom Krankenhaus zum Taucherclub
Liebermanns nach New York emigrierte Tochter Käthe Riezler erhielt 1951 im Rahmen des sogenannten „Wiedergutmachungsverfahrens“ das Anwesen zurück. Daraufhin schloss sie einen Pachtvertrag mit dem Krankenhaus. Sieben Jahre später verkaufte Maria White, Käthe Riezlers Tochter und einzige Enkelin der Liebermanns, das Grundstück an das Land Berlin, das es dem Bezirk Zehlendorf zur Verwaltung und Nutzung als Krankenhaus übertrug. Ab 1971 verpachtete der Bezirk die Villa an den Deutschen Unterwasser-Club. Dieser richtete dort ein Vereinsheim mit Aus- und Fortbildungsstätte für Taucher und Taucherinnen ein.
Denkmalschutz des Gartens
Ein erster wichtiger Schritt für die Rekonstruktion des Anwesens war es, dass der Garten im Jahr 1987 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Langsam konnte auch die Villa wieder mit Liebermann als Künstler in Verbindung gebracht werden. Anfang der 1990er-Jahre existierte deutschlandweit noch kein Museum zu Liebermann und seinem Werk, trotz seiner künstlerischen Erfolge.
Liebermann-Ausstellung im Unterwasser-Club
Im Dezember 1992 veranstaltete der Kölner Kunstsalon Franke in den Vereinsräumen des Deutschen Unterwasser-Clubs eine Liebermann-Verkaufsausstellung. Zum ersten Mal nach 1945 waren wieder Gartenbilder des Malers am Ort ihres Entstehens zu bewundern. 18.000 Gäste aus Berlin, Deutschland und dem Ausland kamen in das ehemalige Sommerhaus des Malers, um die Ausstellung zu besichtigen.
Erste Untersuchungen zur Villa
Im Jahr 1994 führte der Landschaftsarchitekt Reinald Eckert im Auftrag des Landesdenkmalamtes Berlin eine erste Untersuchung zum Bestand und zur Entwicklungsgeschichte des Liebermann-Gartens durch. Haus und Garten waren zu dieser Zeit als Künstlerrefugium nicht mehr wiederzuerkennen. Diese Umstände bewegten im Frühling 1995 fünfzehn Privatpersonen dazu, die Max-Liebermann-Gesellschaft als eingetragenen Verein zu gründen.
Gründung der Max-Liebermann-Gesellschaft
Anfang 1995 hatte die Historikerin Annette Ahme mit Unterstützung der Gesellschaft Historisches Berlin einen Aufruf zur Gründung einer Max-Liebermann-Gesellschaft veröffentlicht. In den Räumen der Friedrichstädtischen Galerie in Mitte fand ein erstes Treffen statt und nur wenige Wochen später wurde die Max-Liebermann-Gesellschaft im März offiziell gegründet.
Gemeinsames Ziel
Schon bei der ersten Sitzung hatte sich der Verein um die Gründungsmitglieder Wolfgang Immenhausen, Rolf Budde, Anna Teut und Manuela Müller zum Ziel gesetzt, das ehemalige Sommerhaus Max Liebermanns als einzigen verbliebenen authentischen Ort seines Lebens und Wirkens wiederherzustellen und als Museum zu nutzen.
Eine Idee wird wahr
Der engagierte Verein fand in den Folgejahren zahlreiche Unterstützer*innen und kämpfte resolut für die Umsetzung seiner Vision. Im Jahr 1997 wurde die Liebermann-Villa unter Denkmalschutz gestellt und der Berliner Senat beschloss, diese in ein Museum umzuwandeln – allerdings gab es hierfür keine öffentlichen Mittel.
Erschwerte Museumsgründung
Es folgten herausfordernde Jahre, in denen die Gesellschaft versuchte, Mittel zur Renovierung des Hauses zu akquirieren. Zudem war die Übernahme des Anwesens durch die Gesellschaft an die Bedingung geknüpft, dem Tauchclub ein Ersatzgrundstück zur Verfügung zu stellen. Nachdem trotz aller Erschwernis ein Ersatz auf der gegenüberliegenden Seite des Wannsees gefunden werden konnte, übernahm die Gesellschaft 2002 endlich das Grundstück Liebermanns.
Beginn der Rekonstruktion
Trotz aller Veränderung und der jahrelangen Fremdnutzung war zu Beginn der Wiederherstellungsmaßnahmen durch die Max-Liebermann-Gesellschaft originale Substanz erhalten, zum Beispiel Stützmauern und Treppen, die Lindenhecke im Vorgarten und Reste der Hainbuchenhecke. Mithilfe dieser Funde und historischer Fotografien, Plänen und der Gemälde Max Liebermanns konnte die ursprüngliche Gartenanlage ab 2004 in mehreren Bauabschnitten originalgetreu wiederhergestellt werden.
Stauden- und Nutzgarten
Als Erstes wurde der straßenseitige Stauden- und Nutzgarten rekonstruiert.
Birkenweg
Anschließend ermöglichten Spenden der Vereinsmitglieder und Vertreter*innen aus der Politik bei einer gemeinsamen Pflanzaktion, den Birkenweg neu anzulegen.
Blumenterrasse
Die Erneuerung der Blumenterrasse fand mit der Aufstellung der Rekonstruktion des Fischotterbrunnens von August Gaul (1869–1921) ihren Abschluss.
Teepavillon
Der am seeseitigen Ende befindliche Teepavillon der Liebermanns überdauerte bis in die Fünfzigerjahre. Er wurde erst in Zeiten der Krankenhausnutzung abgerissen, da er baufällig und einsturzgefährdet war. Nur das Fundament blieb erhalten.
Heckengärten
2014 gelang abschließend auch noch die Wiedereingliederung des ehemals von Liebermann gepachteten schmalen Grundstücksstreifens, den bis dahin der benachbarte Sportverein nutzte.
Dies ermöglichte die Vollendung der streng in Form geschnittenen Heckengärten mit ihren markanten Heckentoren und die Wiederherstellung der Obstwiese am Teepavillon.
Ufer und Steg
Außerdem wurde noch die Ufermauer ergänzt und der historische Liebermann-Steg rekonstruiert, der zehn Meter aufs Wasser hinausführt und einen weiten Rundumblick bietet.
Erste Ausstellung
Bereits im September 2002, zum Tag des offenen Denkmals, veranstaltete die Max-Liebermann-Gesellschaft die erste Ausstellung „Max Liebermann kommt nach Hause“. Die Gesellschaft machte Haus und Garten der Öffentlichkeit zunächst provisorisch zugänglich.
Eröffnung des Museums
Am 29. April 2006 findet schließlich die Eröffnung der Liebermann-Villa am Wannsee als Museum statt. Unter der Leitung des Gründungsdirektors Martin Faass wurden seit 2007 neben der Dauerausstellung zahlreiche Sonderausstellungen präsentiert, die sich dem Schaffen Liebermanns und seiner Zeitgenoss*innen widmeten.
Die Liebermann-Villa heute
Die Liebermann-Villa als Museum existiert nun seit über 15 Jahren. Bis heute waren über 30 Sonderausstellungen rund um Max Liebermann in den ehemaligen Privaträumen der Familie Liebermann zu sehen. Liebermanns historischer Garten ist inzwischen vollständig rekonstruiert und lockt als eines der wenigen erhaltenen Beispiele für die europäische Reformgartenbewegung jährlich viele Tausende Interessierte an den Wannsee.
DANK
Die Wiederherstellung des Künstlerhauses und des Garten von Max Liebermann am Wannsee wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von:
Adolph Würth GmbH & Co. KG
Cornelsen Kulturstiftung
Commerzbank Berlin
Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Hermann Reemtsma Stiftung
Landesdenkmalamt Berlin
Robert Bosch Stiftung
Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin
Tischlerei Schäfer und Kemps
Weberbank Berlin
und durch zahlreiche Spenden der Besucher*innen und Freund*innen der Liebermann-Villa am Wannsee.
Quellen
[1] Zur Biografie Paul Otto Baumgartens und seinem Werdegang als beliebter Architekt der Nationalsozialisten und Mitglied der NSDAP: https://www.ghwk.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Ausstellung/villen_2015/baumgarten-2015.pdf
Allgemeine Quellen zum Weiterlesen
Martin Faass (Hrsg.): Die Idee vom Haus im Grünen. Max Liebermann am Wannsee, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Berlin 2010.
Lucy Wasensteiner (Hrsg.): Wir feiern Liebermann! Leihgaben aus deutschen Sammlungen zu 25 Jahren Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Max-Liebermann-Gesellschaft, Berlin 2020.
Martin Faass (Hrsg.): Martha Liebermann (1857-1943), Lebensbilder, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Berlin 2007.
Martin Faass (Hrsg.): Verlorene Schätze. Die Kunstsammlung von Max Liebermann, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Berlin 2013.
Marina Sandig: Die Liebermanns. Ein biographisches Zeit- und Kulturbild der preußisch-jüdischen Familie und Verwandtschaft von Max Liebermann, Berlin 2005.
Matthias Eberle: Max Liebermann. 1847 – 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Band 1 und 2, Hirmer Verlag, München 1995 und 1996.
Anke Matelowski: Die Berliner Secession 1899-1937, Chronik, Kontext und Schicksal, Wädenswil am Zürichsee 2017.
Ernst Braun: Max Liebermann. Briefe, Band 1-9, Schriftenreihe der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2011-2021.
Wolfgang Leicher: Max Liebermann. Briefe, Band 9/II: Nachträge, Die Ausstellungen der Werke Max Liebermanns zwischen 1870 und 1945, Schriftenreihe der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2021.
Idee & Konzept: Miriam Barnitz
Redaktion: Miriam Barnitz, Naciye Kazan, Viktoria Bernadette Krieger, Elisa Plitt
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