A park view with green trees rows and a woman sitting on the bench on the left.
David Burliuk, An Alley in the Park, 1910, National Art Museum of Ukraine, Kyiv

Die Kunst der Ukraine: Dawid Burljuk

28.11.2023 von Oleksandra Sakorska

Dank der Förderung der UKRAINE-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung war es uns Anfang April 2022 möglich, eine neue Stelle für die ukrainische Kunsthistorikerin Oleksandra Sakorska zu schaffen. Sie arbeitete zuvor am Khanenko National Museum of Art in Kiew und unterstützt uns im Bereich Ausstellungen und Forschung als wissenschaftliche Volontärin. 
In dieser Blogreihe wird uns Oleksandra Sakorska einige der wichtigsten und interessantesten Namen der ukrainischen Kunstgeschichte ab dem späten 19. Jahrhundert vorstellen. Diese Reihe entdeckt Künstlerinnen und Künstler, welche innerhalb der Grenzen der heutigen Ukraine geboren wurden und erforscht deren Verbindungen zur ukrainischen Geschichte, Musik, Literatur und Gesellschaft. 
Viele dieser Namen waren in der Sowjetzeit unterdrückt worden und sind außerhalb der heutigen Ukraine weitgehend unbekannt. In dieser Reihe, möchten wir untersuchen wie sich die kulturelle ukrainische Identität durch die Gründung der Sowjetunion änderte und dies damit verbinden, wie sich kulturelle Diskurse und Identität durch den gegenwärtigen Krieg wieder ändern könnten. Wir freuen uns im Rahmen dieser Blogreihe mehr über die faszinierende künstlerische Tradition der Ukraine zu erfahren!  
 
Der hier folgende Text ist dem ukrainischen Maler Dawid Burljuk (geb. 1882 in Semirotiwka im Gouvernement Charkow; gest. 1967 Long Island, USA)  gewidmet. 

Eine Allee mit grünen Bäumen auf der rechten Seite und weit links, blauer Himmel. 

Dawid Burljuk, Allee, 1909, Historisches Museum Serpuchov, Russland

Der ukrainische „Vater des russischen Futurismus“

Dawid Burljuk, schon zu Lebzeiten „Begründer des russischen Futurismus“ genannt und noch heute in der Kunstgeschichte als solcher bezeichnet, wurde im Gouvernement Charkow (jetzt Charkiw, Ostukraine) in eine große ukrainische Familie mit kosakischen Wurzeln geboren. Als Kind wurde er beim Spielen mit einer Spielzeugpistole von seinem Bruder ins Auge getroffen. Das linke Glasauge sollte von da an zu seinem Stil werden. Burljuk hatte sich schon früh für Kunst interessiert. 1900-1901 studierte er an der Kunstakademie Odessa, wo er „zu malen begann und nicht mehr aufhören konnte“ (D. Burljuk, Fragmenty iz vospominanij futurista (Fragmente der Memoiren eines Futuristen), Sankt Petersburg 1994); 1910 kehrte er noch einmal für ein Jahr an die Akademie zurück. Mit Unterstützung seiner Familie konnte er 1902 ein Jahr an der Akademie der Schönen Künste in München und 1904 am Atelier Cormon in Paris studieren. 1906-1907 fanden in Charkiv, Cherson und Odessa erste Ausstellungen von Burljuks Werken statt und ein Jahr später in Kyiv. Gezeigt wurden dort seine Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen. Obwohl Burljuk lange Jahre im Ausland lebte, vergaß er doch nie seine Wurzeln und behandelte immer wieder ukrainische Themen in seinen Werken.

Farbstarkes Gemälde mit einer Gruppe von Männern in roten Hosen und schwarzen Hüten.

Dawid Burljuk, Ukrainer, 1912, Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg

Eine neue Welle

Burljuk spielte eine herausragende Rolle in der Organisation neuer kreativer Ansätze und der Zusammenführung innovativer Künstler. Als aktives Mitglied der linken oppositionellen Bewegung beschrieb er eines seiner künstlerischen Projekte mit den berühmten Worten als „Eine Ohrfeige des öffentlichen Geschmacks“ (Poschtschetschina obschestwennomu wkusu, Manifest 1912). Burljuk war das Zentrum einer künstlerischen Bewegung im Russischen Reich, die nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks für ihre schöpferischen Kräfte suchte. Zu einem späteren Zeitpunkt nannten sich alle Mitglieder dieser Gruppe Futuristen: Propheten eines neuen Zeitalters, die bereits das sehen, hören und lesen konnten, was noch nicht, jedoch in Kürze, durch ihre vielen öffentlichen Darbietungen und ihre literarischen Werke für jedermann erkennbar sein würde.

Schwarz-Weiß-Fotografie von drei sitzenden Männern in eleganten Kostümen.

Propheten des Futurismus (Andrej Šemšurin, Dawid Burljuk, Vladimir Majakovskij), 1914, Anna Akhmatova Literary and Memorial Museum, St. Petersburg

Diese neue Ideologie, die die radikalen gesellschaftlichen Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts widerspiegelte, wurde als Futurismus bekannt, der sich in etwa zur selben Zeit in Italien und in Russland herausbildete.

Die Jahre im Exil

Seines Glasauges wegen war Burljuk im Ersten Weltkrieg untauglich für den Militärdienst. Wie durch ein Wunder konnte er 1918 mit knapper Not auch den Progromen in Moskau entkommen. Er verstand schnell, dass in dem neuen sowjetischen Russland kein Platz mehr für ihn war. Aus diesem Grund plante er Ausstellungen in der Ukraine mit dem selbst erklärten Ziel „die Moskowiter zu ärgern“ [v piiku moskaljam].

Farbkräftiges Gemälde von sitzenden Männern in Tracht, in roten Hosen mit einem Instrument, einer Bandura, rechts von ihnen ein schwarzes Pferd.

Dawid Burljuk, Kosak Mamaj, 1912-16, Baškir Nestorov Kunst Museum, Ufa, Baschkortostan (Russland)

Kurz nach der russischen Revolution wurde Burljuk zu einem der ersten Botschafter der russisch-ukrainischen Avantgarde im Ausland. 1920 emigrierte er nach Japan, wo er, für eine Reise in die Vereinigten Staaten Gemälde mit japanischen Motiven malte und verkaufte.

Eine Figur einer Japanerin in blauem Kostüm und weißem Hut, nach unten gebeugt.

Dawid Burljuk, Reis säende Japanerin, 1920, Privatsammlung

1922 übersiedelte Burljuk schließlich in die USA, wo er Gedichte zu schreiben begann und Bücher publizierte. 1930-1966 gab er die russisch-englische Kunst-Zeitschrift Color & Rhyme heraus. In den Vereinigten Staaten fand er aufgrund der heute nur noch wenig bekannten jüdischen Herkunft seiner Mutter die Unterstützung jüdischer Kreise.
1949 reiste er nach Südfrankreich, um die Orte zu sehen, an denen Vincent van Gogh (1853-90) gearbeitet hatte.

1967 wurde Burljuk (zusammen mit Leonard Bernstein, Henry Miller, Marcel Duchamp und anderen) posthum in die American Academy of Arts and Letters in New York aufgenommen.

Meereslandschaft mit Palmen und Sandstrand auf der linken Seite und weißen Häusern auf der rechten Seite, voller Sonnenlicht und blauem Himmel.

Dawid Burljuk, Landschaft, 1950, Privatsammlung

Experimente und Beziehungen

Als einer der ersten Maler nutzte er experimentierfreudig die Technik der Collage, wobei eine Vielzahl verschiedenster Materialien, angefangen von verleimten Sperrholzstücken bis hin zu Zahnrädern und Metallplatten, Verwendung fand. Textur in jeder nur denkbaren Form war in seinem künstlerischen Schaffen von größter Bedeutung. Die Verwendung intensiv leuchtender Farben im Stil von Patchwork Quilts führte zu seiner Verbindung von Kubismus und Volkskunst. Grundsätzlich verstand er Malerei als ein Mittel der Kommunikation, das für jedermann verständlich und interessant ist und daher auch den Anspruch erheben kann, universell und nicht elitär zu sein.

Bunte Papierschnipsel, die auf eine Unterlage geklebt sind, mit Farbe und Teilen von Landkarten und Zeitungen.  

Dawid Burljuk, Collage zum Thema des ersten Weltkriegs, 1914-15, Privatsammlung

Er selbst drückte das wie folgt aus:
„Ein wahres Kunstwerk kann mit einer Batterie verglichen werden, aus der die Energie elektrisch geladener Anregungen kommt. In jedem Werk ist, wie bei einer Theateraufführung, eine bestimmte Anzahl von Stunden zum Bewundern und Betrachten vorgesehen. Viele Werke bewahren Reserven an ästhetischer Energie über lange Zeiträume hinweg, Bergseen vergleichbar, aus denen sich unablässig große Ströme von Einflüssen ergießen, und die Quellen versiegen nie …“ (Fragmente der Memoiren eines Futuristen, 1994).

Die Memoiren dieses bemerkenswerten Künstlers und Dichters wurden erst 1994 unter dem Titel Fragmenti iz vospominanij futurista  (Fragmente der Memoiren eines Futuristen) in Sankt Petersburg veröffentlicht. Sie sind von großem Interesse als ein authentisches Zeugnis dieses wichtigen Protagonisten der europäischen Avantgarde-Bewegung. Wladimir Majakowski, der prominenteste Vertreter der russischen futuristischen Bewegung, verwies auf Burljuk als seinen ersten und eigentlichen Lehrer, „der Mann, der mich zum Dichter machte“. (W. Majakowski, Ja sam (Ich selbst), Moskau 1978.

Halbplastisches Metallporträt von Dawid Burliuk mit einem Pinsel in der rechten und einer Palette in der linken Hand.

Gedenktafel für den “ Otez russkogo futurisma Dawid Dawidowitsch Burljuk ” [Vater des russischen Futurismus] in Odessa, 2016