Eine Fotografie von Charlotte Rohrbach. Sie zeigt Liebermanns Totenmaske im Profil
Charlotte Rohrbach, Totenmaske Max Liebermanns, abgenommen von Arno Breker am 9.2.1935 in Berlin, 1935, Archiv Europäische Kultur-Stiftung (EKS)

Die Odyssee der Totenmaske Max Liebermanns

10.2.2023 von Joe F. Bodenstein

Entstanden in politischen Wirren, verschwunden und wiedergefunden

Im Februar 2023 jährt sich Max Liebermanns Todestag zum 88. Mal. Ein Anlass, um weniger Bekanntes über den bedeutenden Künstler des 20. Jahrhunderts zu erzählen: Die Geschichte seiner Totenmaske. Der Journalist Joe F. Bodenstein schildert im folgenden Beitrag die Odyssee der Maske. Bodenstein war nach 1945 vierzig Jahre Parlaments-Korrespondent in Bonn und Berlin. Er hatte vor über fünfzig Jahren berufsbedingt den Bildhauer und Architekten Arno Breker (1900–1991) Anfang der 1970er Jahre in Paris kennengelernt.

Eine Fotografie der hellerleuchteten Totenmaske von Max Liebermann auf dem Titelblatt der jüdischen C.V. Zeitung, auf dunklem Hintergrund

Arno Brekers Gips-Totenmaske Max Liebermanns, in: Bilderbeilage, Central Verein Zeitung, Berlin, Nr. 17, 15. Februar 1935

Aus heutiger Sicht ist Arno Brekers Handeln kritisch zu hinterfragen und so kann dieser Erinnerungsbericht nicht ohne eine historische Einordnung veröffentlicht werden. Arno Breker ist heute vor allem als Staatskünstler der NS-Zeit bekannt, nach 1935 stieg er zum führenden Bildhauer auf und war in die NSDAP eingetreten. Seit 1933 hatten sich Max Liebermann und Arno Breker besser gekannt, sodass Breker zwei Jahre später, den Schilderungen der Witwe Martha Liebermann zufolge die Totenmaske Liebermanns abgenommen hat. Im Sinne der Aufarbeitung veröffentlichen wir die uns freundlich zur Verfügung gestellten Erinnerungen von Bodenstein an den Bildhauer Arno Breker und die Totenmaske von Max Liebermann.

Erinnerungen von Joe F. Bodenstein

Als Deutschland-Korrespondent der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) New York war ich Breker durch einen Interview-Auftrag begegnet. Auf Fragen zu seiner Karriere seit der Weimarer Republik und als Staatskünstler in der NS-Zeit interessierte ich mich besonders für seine Beziehung zu Max Liebermann, den er verehrte.

Aus mehreren Interviews und Gesprächen kann ich als Zeitzeuge dieses Lebensabschnitts berichten: Arno Breker hat „die Autorität“ Liebermann über seinen Kunsthändler Alfred Flechtheim kennengelernt. Hinzu kamen noch der Kunsthändler Paul Cassirer und dessen Kollege Henry-Daniel Kahnweiler, die Pablo Picasso berühmt gemacht haben sollen.

Liebermann fand den jungen frankophilen Bildhauer Breker offensichtlich auch deshalb sympathisch, weil er gebildet war und niemals über Not klagte und keine Schulden machte. Als Breker Anfang der 1920er Jahre eine Studienreise nach Paris machte und in Künstlerkreisen mit Jean Cocteau, Kahnweiler und Man Ray die Kulturszene bei Tag und Nacht kennenlernte, besuchte er anschließend Berlin und fand in Liebermann einen interessierten Gesprächspartner. Durch ihn begegnete Breker wiederum Albert Einstein, den Liebermann in drei Gemälden verewigte. Gemeinsam verkehrten sie im Hotel Adlon, das schräg gegenüber des Stadthauses von Liebermann am Brandenburger Tor gelegen war, welches ein Blickfang war.

Die guten Beziehungen bestanden bis zum Ende. Arno Breker nahm als Beweis der Freundschaft die Totenmaske des zum väterlichen Freund gewordenen Künstlers ab. So war es bereits Jahre vorher besprochen. Am Sterbetag am 8. Februar 1935 hätte Liebermanns Witwe Martha abends Breker in seinem Atelier in Berlin angerufen und mit tränenerstickter Stimme gesagt: „Nun ist es passiert“. Und die Antwort in das Telefon: „Ich komme so schnell wie möglich vorbei!“

Eine Fotografie von Charlotte Rohrbach. Sie zeigt Liebermanns Totenmaske im Profil

Charlotte Rohrbach, Totenmaske Max Liebermanns, abgenommen von Arno Breker am 9.2.1935 in Berlin, 1935, Archiv Europäische Kultur-Stiftung (EKS)

„Es war ein Freitag“, erinnerte sich Breker in dem Interview über das traurige Ereignis. „Ich war bereits gekleidet für einen Empfang. Das wurde für mich völlig zweitrangig.“

Im Sterbehaus wartete die Witwe bereits. Sie führte den abendlichen Gast schweigend in das Sterbezimmer. Liebermann, den er noch vor einigen Tagen besucht hatte, lag auf dem Rücken im Bett, als ob er schlief. Als Breker den Leichnam näher sah, erschrak er plötzlich. Im Schein von Kerzen erkannte er, dass der Meister unrasiert war. „Mir wurde schlagartig bewusst, dass eine Masken-Abnahme das Antlitz des unrasierten Toten beschädigen könnte“, berichtete Breker. „Doch im ganzen Haus war kein Rasierzeug zu finden. Liebermann hatte nämlich regelmäßig einen Barbier kommen lassen.“

„Was ist zu machen? Die Zeit drängt, bevor die Totenstarre eintritt“, schoss es Breker durch den Kopf. Mit seinen guten Ortskenntnissen in Berlin machte sich Breker auf den Weg, um Rasierzeug zu besorgen. Es musste schnell und sehr diskret geschehen, ohne den Grund zu nennen und Aufsehen zu erregen. Vier Versuche misslangen. „Dann geschah endlich ein Wunder. In einem U-Bahn-Zugang der Straße Unter den Linden traf ich einen WC-Wächter, der mir mit Rasierzeug aushalf.“ Breker konnte den sehr verwunderten Wärter über den eigenartigen Nacht-Besucher mit einer doppelten Leihgebühr und einer Kaution in bar von der Dringlichkeit der Angelegenheit überzeugen, ohne etwas zu verraten.

Erschöpft, doch glücklich über das erfolgreiche Bemühen ging der damals 35-jährige Bildhauer an die Arbeit mit Seife und Rasierapparat. Der Stoppelbart war ab, das Gesicht frisch gewaschen. Von der Totenmaske wurden im Sterbejahr mehrere Exemplare gegossen für Freunde. Über die Existenz dieser Masken wurde sowohl im Freundeskreis des Verstorbenen als auch aus politischen Gründen in der Öffentlichkeit geschwiegen. Die Totenmaske war 1935 in der Bilderbeilage der jüdischen C.V. Zeitung angedruckt worden und damit seither der Öffentlichkeit bekannt. Das Foto hatte vermutlich die Fotografin Charlotte Rohrbach aufgenommen, die Brekers Bildhauer-Werk über Jahre in Dokumentationen festhielt. Arno Brekers Totenmaske war dennoch 1936 im Rahmen der Liebermann-Gedächtnisausstellung im damaligen Jüdischen Museum, in der Oranienburger Straße, gezeigt worden.

Der Bildhauer Arno Breker mit Brille und im karierten Sakko steht neben der Totenmaske, die er von Max Liebermann abgenommen hat. Hier ist ein Bronzeabguss gezeigt.

Arno Breker vor Totenmaske, Archiv Europäische Kultur-Stiftung (EKS)

Breker selbst hatte einen Abguss der Totenmaske in Bronze während der Hitler-Zeit in seinem Staatsatelier in Berlin, das heute ein öffentliches Museum für die Kunst der deutschen Nachkriegsmoderne in Ost- und Westdeutschland, das Kunsthaus Dahlem, ist. Es wird auch von der Bernhard-Heiliger-Stiftung genutzt, ein Meisterschüler Arno Brekers. In diesem einstigen Breker-Atelier hatte die auf einen Sockel gestellte Maske nicht nur Albert Speer, ab 1942 NS-Reichsminister für Bewaffnung und Munition, gesehen. Auch der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann und internationale Gäste aus aller Welt haben die Maske als „ausgezeichnete Büste“ bewundert.  Zu Kriegsende wurde das Atelier von Soldaten der Alliierten geplündert und zerstört.

Weiterführende Literatur

Rolf Bothe: „Die Totenmaske“, in: Ausst. Kat. Jüdisches Museum Berlin, Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten. Max Liebermann zum 150. Geburtstag. Rekonstruktion der Gedächtnisausstellung des Berliner Jüdischen Museums 1936, Berlin 1997, S. 118-121

Heinz Elsberg: „Keine Arno-Breker-Renaissance in Berlin“, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, Düsseldorf, 26. Jg., Nr. 21, 22.5.1981

Julius Posener: „Offener Brief an Arno Breker“, in: Der Tagesspiegel, Berlin, 31.5.1981

„Breker und kein Ende“, in: Der Tagesspiegel, Berlin, 20.4.1983