Historisches Schwarzweißfoto von mehreren älteren Personen in feiner Kleidung, die sich ein großes Blatt angucken.
Max Liebermann und Käthe Kollwitz bei der Jurierung einer Akademieausstellung, Foto aus dem Jahr 1927 © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

155 Jahre Käthe Kollwitz

07.7.2022 von Neslihan Aslan

Zum 155. Geburtstag der Künstlerin am 8. Juli

Am 8. Juli 2022 wäre die Künstlerin 155 Jahre alt geworden. Anlässlich des Ehrentages der Künstlerin widmet sich die Kunsthistorikerin Neslihan Aslan vom Käthe-Kollwitz-Museum Berlin im Folgenden vor allem dem druckgrafischen Schaffen von Käthe Kollwitz.

Historisches Schwarzweißfoto von einer Frau mittig im Bild und links und rechts ein junger Mann.

Käthe Kollwitz mit ihren Söhnen Hans und Peter im Jahr, 1909, © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

Käthe Kollwitz, die am 8. Juli 1867 in Königsberg (heute Kaliningrad) geboren wurde, zählt zu einer der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Kunst und universelle Botschaft „Nie wieder Krieg!“ haben auch heute nichts von ihrer Aussagekraft eingebüßt. Sie sind relevanter denn je. Einfühlsam, mitreißend, ergreifend: nichts kennzeichnet das Werk dieser Ausnahmekünstlerin besser. „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind“, schrieb sie 1922 in ihr Tagebuch nieder. Dieses Lebensmotto entwickelte sich aus einem starken inneren Bedürfnis heraus und trieb die Grafikerin und Bildhauerin in ihrem künstlerischen Schaffen voran. Sie beschäftigte sich ausschließlich mit der Darstellung des Menschen, schilderte dessen Not und Leid, aber auch Freude in einer eindringlichen Bildsprache. Ihre druckgrafischen Blätter gehören hierbei in die große Tradition von Rembrandt, Goya und Klinger.

Schwarzweiß Druckgrafik mit mehreren Arbeitern und Arbeiterinnen, die marschieren.

Käthe Kollwitz, Weberzug, Blatt 4 aus dem Zyklus „Ein Weberaufstand“, Radierung 1893-1897, © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin

Hinwendung zur Grafik

Die Hinwendung zur Grafik und die Beschäftigung mit den problematischen und bedrückenden Seiten des Lebens verdanke sie, nach eigenen Angaben, Max Klingers druckgrafischem Werk und seiner im Jahr 1891 erschienenen kunsttheoretischen Schrift „Malerei und Zeichnung“. Aber auch ihre Hochzeit mit dem sozialdemokratischen Armenarzt Karl Kollwitz, die damit einhergehende Übersiedlung nach Berlin an den heutigen Kollwitzplatz am Prenzlauer Berg und die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten in der Wohnung waren Gründe für die Künstlerin, sich von der Malerei ab- und der Druckgrafik zu zuwenden. 1898 gelang ihr mit ihrem ersten druckgrafischen Zyklus „Ein Weberaufstand“ auf der Großen Berliner Kunstausstellung der künstlerische Durchbruch. Angeregt vom Drama von Gerhart Hauptmann, schuf sie den sechsteiligen Zyklus in gleichen Teilen als Radierung und als Lithografie. Max Liebermann, dem sie ein Leben lang freundschaftlich verbunden blieb, setzte sich als Mitglied der Jury sehr für eine Anerkennung der Künstlerin ein. Diese wurde ihr zwar von höchster Stelle verwehrt, was ihrem künstlerischen Erfolg allerdings keinen Abbruch tat.

Druckgrafik mit rennenden Figuren

Käthe Kollwitz, Losbruch, Blatt 5 aus dem Zyklus „Bauernkrieg“, Radierung 1902/1903, © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin

Ernennungen und Ehrungen

Der 20 Jahre ältere Liebermann gehörte auch zukünftig zu ihren wichtigsten Förderern. Unter seiner Präsidentschaft wurde Käthe Kollwitz 1919 als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste gewählt und zur Professorin ernannt. 1928 übertrug man ihr dort die Leitung des Meisterateliers für Grafik. Ein Jahr später verlieh man der inzwischen weltberühmten Künstlerin den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste. Doch nicht allein der künstlerische Erfolg trieb sie an, vielmehr das Bedürfnis, mit ihrer Kunst gesellschaftliche und soziale Missstände anzuprangern und etwas zu bewegen.

Historisches Schwarzweißfoto von mehreren älteren Personen in feiner Kleidung, die sich ein großes Blatt angucken.

Max Liebermann und Käthe Kollwitz bei der Jurierung einer Akademieausstellung, Foto aus dem Jahr 1927 © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

 

Künstlerische Auseinandersetzung mit Krieg

Die Druckgrafik stellte hierbei aufgrund ihrer Verbreitungsmöglichkeiten das adäquate Mittel für sie dar. Kollwitz setzte sich experimentierfreudig zunächst mit der Lithografie und der Radierung auseinander. Die hervorragende Zeichnerin entdeckte dann durch Werke des drei Jahre jüngeren Bildhauers Ernst Barlach zu Beginn der 1920er Jahre auch den Holzschnitt für sich. In ihren Grafikfolgen „Krieg“ und „Proletariat“ wandte sie den im Expressionismus wiederbelebten Holzschnitt an. Besonders für das Thema Krieg erschien ihr diese Drucktechnik mit der kontrastreichen Schwarz-Weiß-Wirkung am geeignetsten. Ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen des Ersten Weltkrieges verarbeitete sie in der Folge „Krieg“ von 1922: den Verlust ihres jüngeren Sohnes Peter, der am 22. Oktober 1914 als Kriegsfreiwilliger gefallen war. Dieses Ereignis prägte die Künstlerin wie kein anderes und machte sie zur Pazifistin. In einem Brief an den französischen Schriftsteller Romain Rolland von Oktober 1922 heißt es: „Ich habe immer versucht, den Krieg zu gestalten. Ich konnte es nie fassen. Jetzt endlich habe ich eine Folge von Holzschnitten fertiggemacht, die einigermaßen das sagen was ich sagen wollte. […] Diese Blätter sollen in alle Welt wandern und sollen allen Menschen sagen: so war es – das haben wir alle getragen durch diese unaussprechlich schweren Jahre“ Als Denkmal für ihren gefallenen Sohn wurde 1932 die Figurengruppe „Trauernde Eltern“ auf dem flandrischen Soldatenfriedhof in Vladslo aufgestellt, wo sich auch Peters Grab befindet. Obwohl ihr bildhauerisches Werk im Gegensatz zum grafischen Œuvre recht überschaubar ist, betonte Kollwitz immer wieder, wie viel ihr das plastische Arbeiten bedeutete.

Plakat mit einer Frau und den Wörtern "Nie wieder Krieg"

Plakat „Nie wieder Krieg“, Kreide- und Pinsellithografie 1924, © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin

Ausgrenzung unter dem nationalsozialistischen Regime

Käthe Kollwitz, die vom nationalsozialistischen Regime mit einem „inoffiziellen“ Arbeitsverbot belegt und ausgegrenzt wurde, bekannte sich in dieser schweren Zeit zu ihrem langjährigen künstlerischen Wegbegleiter, dem von den Nationalsozialisten verfemten Max Liebermann, und nahm als eine der wenigen Kollegen an seiner Beerdigung 1935 teil. Sie selbst starb im Alter von 77 Jahren, nur wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in der Abgeschiedenheit von Moritzburg bei Dresden. Die Urne mit ihrer Asche wurde ihrem Wunsch gemäß auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt, wo sie im Familiengrab ihre letzte Ruhe fand – das Grabrelief „Ruht im Frieden seiner Hände“ hatte sie selbst geschaffen.

Druckgrafik mit mehreren Figuren, die sich alle umarmen und einen großen Kreis bilden

Käthe Kollwitz, Die Mütter, Blatt 6 der Folge „Krieg“, Holzschnitt 1921/22, © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin

Künstlerische Ausnahmeerscheinung

Die große Bandbreite ihres Schaffens umfasste sowohl ernste, schwere Themen wie Not, Krieg, Armut, Hunger und Tod als auch heitere, unbeschwerte Motive wie Liebe und die Verbundenheit zwischen Mutter und Kind. Doch besonders mit ihren sozialkritischen Arbeiten legte sie den Finger in die Wunden der Zeit. Ihre intensive Beschäftigung mit der Druckgrafik und ihr außerordentliches druckgrafisches Können machen sie zu einer künstlerischen Ausnahmeerscheinung. Ihr gelang es nicht nur, Beruf und Familie zu vereinen. Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer zeitgenössischen Künstlerkolleginnen ist ihr Name auch fest in der Kunstgeschichte verankert. Mehr als 50 Jahre lebte und arbeitete die Künstlerin in Berlin und engagierte sich für soziale Gerechtigkeit, Humanität und Frieden. Ihr berührendes und zeitloses Werk hat von seiner Strahlkraft bis heute nichts verloren.

Historisches Schwarzweißfoto von einem älteren Herrn und einer älternen Frau

Karl und Käthe Kollwitz in Karlstein bei Bad Reichenhall, 1935, © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln