Liebermanns Büste von Fritz Klimsch
12.4.2023 von Alice Cazzola
Zum Tag der Provenienzforschung 2023
Zum internationalen Tag der Provenienzforschung 2023 berichtet Alice Cazzola, ehemalige Provenienzforscherin an der Liebermann-Villa am Wannsee, von einer Bronzebüste, die von der Max-Liebermann-Gesellschaft aus Privatbesitz angekauft wurde. Das Werk war Teil des Sammlungsbestands, der bis März 2023 im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts erforscht wurde.
Liebermanns Büste von Fritz Klimsch. Forschungsstand und offene Fragen
Fritz Klimschs Büste von Max Liebermann ist eines der wenigen dreidimensionalen Bildnisse des Künstlers in der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft (Abb. 1).
Es handelt sich um einen, mittels Wachsausschmelzverfahrens gefertigten Hohlguss aus Bronze, der auf einen Marmorsockel montiert ist. Die Plastik führt rückseitig am unteren Hals die Signatur „F. Klimsch“ und ist weder datiert noch mit einem Gießerstempel versehen. Im Inneren des Halses befindet sich eine mit blauer Fettkreide handschriftlich vermerkte „94“ (Abb. 2).
Unterhalb des Sockels ist ein Etikett mit einer handschriftlichen „21“ fragmentarisch erhalten. Diese Provenienzmerkmale konnten bisher nicht entschlüsselt werden.
Fritz Klimsch (1870–1960) zählt zu den bekanntesten Bildhauern der Weimarer Republik. 1899 gründete er mit Liebermann und Walter Leistikow die Berliner Secession. Ab 1933 passte er sich dem nationalsozialistischen Kunstgeschmack an und fertigte neben weiblichen Aktdarstellungen, Auftragsarbeiten u. a. für Adolf Hitler und den einflussreichen NS-Politiker Wilhelm Frick.
Zur Genese der Büste
Laut eigener Aussage schuf Klimsch die Vorzeichnung von Liebermanns Porträtkopf bei einem Abendessen im Hause Liebermanns an. In seinen in den 1950er-Jahren veröffentlichten Erinnerungen heißt es:
Den Gedanken, ihn [Max Liebermann] zu porträtieren, trug ich lange mit mir herum und wartete auf eine günstige Gelegenheit, ihn festzunageln; ich wartete eine Zeit ab, in der er besonders gut gelaunt und zugleich für meine künstlerische Tätigkeit interessiert war. Diese Konstellation ergab sich, als ich einmal abends bei ihm eingeladen war und er sich sehr anerkennend über mein Virchowdenkmal aussprach; da bat ich ihn kurzerhand, mir zu sitzen, und nachdem er sich erst gesträubt hatte, willigte er ein. Es war eine sehr schwierige Aufgabe diesen lebhaften Geist in die strenge plastische Form zu zwängen; mir kam dabei zugute, daß ich ihn seit vielen Jahren kannte und über viele Seiten seines Wesens im klaren [sic] war.
Das erwähnte Denkmal für Rudolf Virchow wurde 1910 auf dem Berliner Karlsplatz errichtet. Diesen Angaben zufolge müsste Liebermanns Bronzekopf nach 1910 entstanden sein.
Wie viele Exemplare?
Insgesamt konnten neun Ausstellungen in Berlin, Düsseldorf, Mannheim, München, Nürnberg, Rom und Venedig ermittelt werden, die Liebermann-Büste zwischen 1913 und 1927 ausgestellt haben.
Ein zweites Exemplar der Büste wurde 1922 von der Stadt Nürnberg direkt beim Künstler im Zuge der dortigen Sommer-Ausstellung Deutscher Kunst erworben. Diese Büste weist die Signatur des Künstlers und den Gießerstempel „H. Noack Friedenau“ auf und befindet sich als Dauerleihgabe im Germanischen Nationalmuseum.
Auch Max Liebermann soll ein Exemplar der Büste – vielleicht sogar das Exemplar im Bestand der Max-Liebermann-Gesellschaft – besessen haben. Als Nachweis für diese Provenienz wird ein Brief von Gustav Pauli an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle Hamburg vom 6. Dezember 1923 herangezogen. Darin ist zu lesen: „Auch die Büste von Klimbt [sic], die unten in seinem Salon steht, findet nicht seinen Beifall.“
Hermann Braun verzeichnet in seiner Publikation Fritz Klimsch. Eine Dokumentation nur das Exemplar in Nürnberg, sodass noch geklärt werden muss, wann und wie viele Güsse Klimsch bei der Berliner Gießerei Noack insgesamt herstellen ließ und welche weiteren noch anderswo in Werkstätten gegossen wurden. Blieb die Gussform bei der Gießerei Noack oder beim Künstler?
Ein Vergleich des ermittelten Fotomaterials in den Ausstellungskatalogen und in Archiven hat zu keinem endgültigen Ergebnis geführt. Vergleicht man die Aderung des Marmorsockels (der jedoch auch hätte ausgetauscht werden können) mit den uns bekannten Fotografien, lässt sich einzig bei der Abbildung im Katalog der Münchner Kunstausstellung im Glaspalast von 1927 (Abb. 3) eine Übereinstimmung der Aderung mit dem Exemplar im Bestand der Max-Liebermann-Gesellschaft feststellen. Sollte es sich hierbei tatsächlich um dieselbe Büste handeln, dann wäre das untersuchte Objekt mindestens ab 1927 nachweisbar. Da aber die Fotografie nicht in den Ausstellungsräumen aufgenommen wurde, sondern wohl im Voraus von Klimsch für den Katalog zur Verfügung gestellt wurde, besteht keine Sicherheit, dass das Exemplar auf der Münchner Ausstellung zu sehen war.
Die Provenienzkette rückverfolgen
Vor diesem Hintergrund bleibt die Provenienz der Liebermann-Büste im Bestand der Max-Liebermann-Gesellschaft größtenteils unbekannt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist als Vorbesitzer nur ein Stuttgarter Privatsammler (gest. 2019) bekannt, aus dessen Besitz die Gesellschaft das Objekt im Januar 2006 erwarb. Bei der Nachfrage, ab wann das Werk in den Besitz des Sammlers überging, vermutete sein Sohn nach 1987.
Aufgrund der großen Provenienzlücke seit Entstehung der Büste (Jahr unbekannt, frühestens nachweisbar 1927) bis spätestens 2006 ist nach aktuellem Recherchestand ein NS-verfolgungsbedingter Entzug weder belegbar noch auszuschließen. Die Provenienz des Exemplars im Bestand der Max-Liebermann-Gesellschaft sowie der Verbleib der Büste aus dem Besitz von Max Liebermann müssen weiter recherchiert werden. Hierzu könnten die bis dato unidentifizierten Provenienzmerkmale Aufschluss geben.