Kanne aus einem Teeservice und Kanne aus einem Mokkaservice, beide um 1928, © Dirk Urban

Margarete Heymann-Loebenstein (1899-1990)

25.8.2021 von Elizabeth Otto

Über das Leben und Werk der Künstlerin Margarete Heymann-Loebenstein

Mutig, stilvoll, fortschrittlich und trotz turbulenter Umstände sehr erfolgreich: So lassen sich Heymann-Loebenstein und ihre eingetragene Fabrikmarke Haël während der Weimarer Republik treffend beschreiben. Obwohl sie das Bauhaus unter ungünstigen Bedingungen verließ, ist sie eine seiner ersten Erfolgsgeschichten: Nämlich eine ehemalige Studentin, die über ein von ihr mitbegründetes Unternehmen, die Haël-Werkstätten für Künstlerische Keramik G.m.b.H., modernes Design auf nationalen und internationalen Märkten etablierte.

Aber wie beim Bauhaus und vielen seiner Angehörigen bedeutete der Aufstieg des NS-Regimes 1933 das abrupte Ende ihrer Ambitionen. Weibliche oder jüdische Bauhausmitglieder wurden besonders bedroht, und Heymann war beides. Sie würde dem Nazi-Schrecken zwar mit ihrem Leben entkommen, aber weder künstlerisch noch beruflich jemals wieder das Niveau ihrer Arbeiten aus der Weimarer Republik erreichen. Es ist heute klar, dass Margarete Heymann sehr wütend war, als sie das Bauhaus verließ, und Dokumente belegen, dass ihre Gefühle berechtigt waren. Heymann war eine entschlossene, kreative junge Frau, die in ihrer Berufung – modernes Keramikdesign – aufging, doch die von zwei dickköpfigen, älteren Männern in ihrem Vorhaben blockiert wurde. Max Krehan und Gerhard Marks, der künstlerische Leiter der Werkstatt, hatten sich gemeinsam entschieden, Frauen aus ihrer Werkstatt auszuschließen.

Werbeanzeige: „Wählen Sie künstlerische Keramik / Verlangen Sie Haël“, in: Haus, Hof, Garten, 16. November 1929, S. 580.

Kanne aus einem Teeservice und Kanne aus einem Mokkaservice, beide um 1928, © Dirk Urban

Doch zum Glück ließ sich Heymann nicht leicht abschrecken. Solchermaßen am Bauhaus ausgebremst setzte Heymann 1922 ihre Ausbildung als künstlerische Mitarbeiterin in der damals angesagten Keramikfirma Velten-Vordamm in Velten fort, einer Stadt nordwestlich von Berlin. 1923 heiratete Heymann den Ökonomen Gustav Loebenstein. Gemeinsam mit seinem Bruder Daniel Loebenstein erwarben sie eine stillgelegte Keramikfabrik in Marwitz, einem Nachbardorf von Velten, und gründeten die Firma Haël. Mit Haël zog das Bauhaus in die Haushalte der Verbraucher in ganz Deutschland ein – und sogar darüber hinaus. Über ein Jahrzehnt lang war Margarete Heymann-Loebenstein die bestimmende Figur des Unternehmens, selbst wenn große Herausforderungen anstanden. Zunächst widmete sie sich ausschließlich dem Design, ab 1928 übernahm sie zusätzlich die Leitung des gesamten Unternehmens. Haël-Produkte wurden in die ganze Welt exportiert, und das Unternehmen war zu einem wichtigen lokalen Arbeitgeber mit teilweise bis zu hundert Mitarbeitern geworden. Doch gerade als sich der Erfolg anscheinend stabilisiert hatte, kamen die Loebenstein-Brüder bei einem Autounfall ums Leben, als sie 1928 zur Grassi Verkaufsmesse nach Leipzig fuhren. Im folgenden Jahr trafen der Börsenkrach und die damit verbundene Weltwirtschaftskrise Deutschland besonders hart, aber Heymann-Loebenstein, die Haël alleine weiterführte, hielt ihr Geschäft aufrecht und entwickelte weiter neue Produkte. Auch unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 schien die Firma Haël noch auf soliden Beinen zu stehen.

Keksdose mit Deckel, zwischen 1923 und 1933, © Dirk Urban

Im Juli 1933 wandten sich die Dinge klar zum Schlechteren, als zwei verärgerte Haël-Mitarbeiter Heymann-Loebenstein den NS-Behörden wegen „Verächtlichmachung und Herabsetzung der Deutschen Staatsautorität“ anschwärzten. Heymann-Loebenstein erkannte die Gefahr, in der sie sich befand, schloss die Fabrik und ging auf die dänische Insel Bornholm, wo sie bis September 1934 blieb. Ende April 1934 verkaufte Heymann-Loebenstein die Haël-Fabrikgebäude einschließlich der Öfen, Keramikformen und der kompletten Kundenliste für 45 000 Reichsmark an einen Dr. Heinrich Schild, Ökonom und einflussreiches Mitglied der NSDAP. Der Preis war so niedrig, dass Heymann-Loebenstein später zweimal entschädigt wurde – als offizielles Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und für den Zwangsverkauf ihres Unternehmens. Mit Unterstützung von Schild wurde am 1. Mai eine weitere junge Keramikerin, Hedwig Bollhagen, die Designchefin der Firma, die heute HB heißt.

Das Dekor dieser Kanne stammt von Hedwig Bollhagen, ihre Form jedoch ist kopiert von Heymann-Loebensteins „Norma“-Serie. Übrigens: Diese Kanne wird heute weiterhin verkauft. © Dirk Urban

Obwohl sie ihr Unternehmen Haël an die Nazis verloren hatte, blieb Heymann-Loebenstein selbst bis 1936 noch überwiegend in Berlin.  Sie verließ die Stadt schließlich mit dreißig Kisten, die nach einer Familienüberlieferung 250 Gemälde und 250 Keramiken enthielten. Sie reiste zunächst nach Amsterdam, wo ihre Schwester Gertrud (Trude) Heymann lebte, und wanderte noch im selben Jahr nach Großbritannien aus. In London waren für Heymann-Loebenstein ihre Kontakte zu Haëls internationaler Kundschaft unerlässlich, insbesondere zu Harry Trethowan, dem Leiter der Keramik und Glasabteilung des Möbelhauses Heal & Sons. Am 3. Juni 1936 schickte er ihr eine handschriftliche Notiz, die sie Gordon Forsyth, dem künstlerischen Leiter von Stoke-on-Trent Potteries, überreichen sollte. Heymann-Loebenstein fand aufgrund ihrer Geschäftskontakte schnell Arbeit als Designerin für britische Firmen und versuchte sogar, einige ihrer Haël-Designs nachzubilden. Sie heiratete 1938 einen Briten, Harold Marks, und wurde fortan unter dem Namen Grete Marks bekannt. Sie gründete ihre eigene Töpferei „Greta Pottery“ mit einigen Mitarbeitern und einem eigenen Markenzeichen (Kat. Nr. 3.55). Aber als deutsche Staatsbürgerin war sie mit dem Ausbruch des Krieges 1939 gezwungen, ihr Geschäft zu schließen. Nach dem Krieg unternahm Grete Marks keinen weiteren Versuch, ein Keramikunternehmen zu gründen; aber sie malte und fertigte weiterhin künstlerische Keramik und Einzelstücke.

Während ihrer Anfänge als entschlossene junge Studierende am Bauhaus musste Heymann-Loebenstein-Marks die Rückschläge überwinden, die ihr die unerbittliche patriarchalische Tendenz dieser Schule bescherte, und fand dadurch den Ausdruck für ihre gestalterische Brillanz. Einen Platz in der Designgeschichte sicherten ihr die originellen Haël-Produkte mit ihren leuchtenden Farben und expressiven Dekoren. Sie boten den Menschen nicht nur eine Möglichkeit, die Moderne in ihr Zuhause zu bringen – sondern auch den nötigen Spielraum, Produkte nach ihren eigenen Vorlieben und ihrem individuellen Lebensstil auszuwählen und zu erwerben: „Wähle handgemachte Keramik. Verlange Haël.“ Das Jahrzehnt, in dem sie Haël verantwortete, markierte bereits früh den Höhepunkt der Karriere von Heymann-Loebenstein; als Exilantin in Großbritannien würde sie nie wieder vollständig Fuß fassen. Der Nationalsozialismus hatte furchtbare Konsequenzen auf nationaler und internationaler Ebene – aber für jeden Einzelnen, dessen Leben davon beeinflusst wurde, besaßen die Katastrophen eine spezifisch persönliche Dimension. Im Falle von Heymann-Loebenstein-Marks erstickte das faschistische System die beachtlichen Erfolge, die sie trotz aller Schwierigkeiten mit ihren Haël-Produkten erzielt hatte.

Von Elizabeth Otto, aus: Schierz, Kai Uwe, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. 4 „Bauhausmädels“ : Gertrud Arndt, Marianne Brandt, Margarete Heymann, Margaretha Reichardt / Angermuseum Erfurt ; Herausgegeben von Kai Uwe Schierz, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. Dresden: Sandstein Verlag, 2019.