Vom Küchenstillleben zur Blumenterrasse im Wannseegarten
14.1.2021 von Roger Rohrbach
Max Liebermann in der Sammlung des Kunstmuseum Gelsenkirchen
Im vierten Teil unserer Gastblogging-Reihe „Wir feiern Liebermann!“ stellt Roger Rohrbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstmuseum Gelsenkirchen, fünf Werke Max Liebermanns aus der Museumssammlung vor.
Ein Blick in die Sammlungsgeschichte
Das Kunstmuseum Gelsenkirchen blickt mit der Gründung 1950 auf eine junge Sammlungsgeschichte zurück. Der Gründungsdirektor Dr. Bernd Lasch baute in 16 Jahren den Grundstock der Sammlung auf. Sein Anspruch war dabei: „[…] keine Spezialsammlung, sondern einen breit angelegten Überblick über die Kunstentwicklungen vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart [zu geben].“ Neben den Sammlungsschwerpunkten Kinetischer Kunst und den „Konkreten“ ist eine Tendenz zu den deutschen Impressionisten auszumachen. Neben Lovis Corinth und Max Slevogt ist hier besonders Max Liebermann zu nennen. Über Dr. Lasch wusste man seiner Zeit zu berichten: „Wenn er ein besonders qualitätvolles Kunstwerk sah, griff er schnellentschlossen zu […] so kam dieses Museum in den Besitz von Kunstschätzen, um die es so mancher Kollege beneidete.“
Max Liebermann im Kunstmuseum Gelsenkirchen
Neben zwei grafischen Arbeiten Liebermanns befinden sich sechs Gemälde in der Sammlung, die durch Bildgattung, Stil und Entstehungsjahr einen roten Faden durch Liebermanns Œuvre spinnen. Mit einer Ausnahme wurden alle weiteren Ankäufe Liebermanns in den 1950er Jahren getätigt. Auffällig ist, dass der Berliner Maler mit acht Arbeiten vertreten ist, was bei den Impressionisten in der Gelsenkirchener Sammlung solitär ist. Grund dafür sind sicherlich seine kunsthistorische Einordnung als einer der wichtigsten Künstler des deutschen Impressionismus und die persönliche Wertschätzung des Museumsdirektors.
Im Folgenden soll ein kleiner Überblick über ausgewählte Liebermann-Werke der Sammlung gegeben werden: Zu Beginn die zuletzt erworbene Arbeit, welche zugleich das älteste Gemälde Liebermanns im Besitz des Kunstmuseum Gelsenkirchen ist.
Selbstbildnis mit Küchenstillleben (1873)
Das Gemälde Selbstbildnis mit Küchenstillleben entstand 1873, ein Jahr nach Liebermanns Abschluss an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar. Als Geschenk an die Mutter, portraitierte sich der Künstler in einem Bild, mit der derzeit vermeintlich niedriger gewerteten Gattung des Stilllebens, was in den Bildvordergrund gesetzt wurde. Mit leichter Aufsicht blicken die Betrachter:innen auf einen gedeckten Tisch, auf dem neben einem geflochtenen Korb und einem kupfernen Kochtopf auch Möhren und Kohlsorten liegen. Das Huhn mit dem Zeichen des koscheren Schächtens weist auf die jüdische Herkunft des Malers hin. Vor einem kleinen, erleuchteten Fenster setzt sich Liebermann vor einem dunklen Hintergrund ins Bild. Der Künstler beugt sich über das Stillleben, so als würde er nur für einen Moment, für ein Foto ins Bild treten. Dieses Unvermittelte bricht das Arrangierte und Komponierte auf und verleiht der Arbeit einen humoristischen Unterton. Es deutet darauf hin, dass sich Liebermann einerseits der Tradition des Stilllebens bediente und sich andererseits jedoch dem damaligen traditionellen Hierarchiedenken der Akademie widersetzte. Liebermann setzte einen Kontrapunkt zu der 1648 von der französischen Académie Royale de Peinture et de Sculpture aufgestellten strengen Hierarchie der Gattungen.
„Das Stillleben war ausgemerzt. Man sprach nur davon, um es zu bemitleiden. Als eine Ausgeburt der Geistlosigkeit kam es für die intelligenten Kunstpfleger nicht in Betracht.“ So bemerkt Émile Zola 1886: „Wer ein(en) Bund Mohrrüben, unmittelbar studiert, naiv, in der persönlichen Note gemalt, in der man es sieht, nicht ebenso viel wert wie die ewigen Schinken der École des Beaux-Arts […]. Der Tag nahte, an dem eine einzige Mohrrübe eine Revolution bedeuten würde.“
Unisono stellt Max Liebermann die Bildgattung des Stilllebens in Spannung und Kontrast mit der Gattung des Portraits und zeigt so genreübergreifend seine Könnerschaft. Gesteigert wird dies in dieser Variante des Selbstbildnisses, in welchem er sich nicht als Künstler, sondern als Koch malt. Es gibt auch Einblick in die Entstehungsgeschichte des Bildes, referierend auf die Mutter, die Liebermann wegen seiner Feinschmeckerei zu necken pflegte.
Selbstbildnis (1921)
Das Selbstbildnis (1921), was auch als Schulterstück oder Dreiviertelprofil beschrieben werden kann, zeigt Max Liebermann vor einem grau-braunen Hintergrund, dessen Verortung unklar bleibt. Direkt anblickend stellt sich der Künstler mit Glatze, Schnauzer und im Anzug gekleidet dar. Das Sakko ist von heller beige-brauner Farbigkeit und hebt sich vom Hintergrund kaum ab. Der Anzug ist in seinen Umrissen erkennbar und weniger detailliert ausgeformt. Das Gesicht tritt malerisch in den Vordergrund. Die Lichtquelle befindet sich rechts außerhalb des Bildes und erhellt Stirn und Wangenpartie. Der Künstler wirkt ernst, ruhig und gelassen. Seine Lebenserfahrung ist ihm im Gesicht abzulesen und sein gesellschaftlicher Stand in der Kleidung. Attribute in Analogon zum vorangestellten Werk bleiben aus und der Bildhintergrund ist von architektonischen Elementen vollkommen entleert. Diese Dualität ist auch in weiteren Arbeiten des Spätwerks zu finden. Zu diesem zählen vor allem Portraits bekannter Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik, wie dem Bankier Julius Stern und „Bildnisse“ seines Gartens am Wannsee.
Bildnis des Bankiers Julius Stern (1907)
Das Bildnis des Bankiers Julius Stern (1907)aus der Gelsenkirchener Sammlung ist im Auftrag der Nationalbank für Deutschland anlässlich des 25-jährigen Dienstjubiläums Sterns entstanden. Als sitzendes Kniestück angelegt ähnelt es dennoch dem Selbstbildnis von 1921. Der Portraitierte wird vor einem monochromen Hintergrund dargestellt, was die malerisch besonders ausgeformten Partien, wie Gesicht und Hände, in den Fokus treten lässt. Durch die gewählte Gestik Sterns „wird das Temperament des Dargestellten erfasst.“ Der Bankier verkehrte als Kunstsammler und Mäzen in Künstler:innen-Kreisen und war Förderer der Berliner Nationalgalerie. Das Ehepaar Stern ließ sich in Potsdam ab 1912 ein Landhaus von Paul Baumgarten errichten, der zuvor auch die Liebermann-Villa am Wannsee baute. Max Liebermann hat Julius Stern mehrmals portraitiert, so lässt sich neben einer Gemäldestudie aus einer Privatsammlung auch ein Pastell im Museum Ostwall in Dortmund finden.
Das Pastell Blumenbeet im Garten am Wannsee und das Gemälde Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordwesten (1921)
1910 verbringt Max Liebermann den ersten Sommer in der neu gebauten Villa am Wannsee, dessen Garten er zusammen mit Alfred Lichtwark gestaltete. Villa und Garten dienten fortan als Refugium zum Haus am Pariser Platz und der bürgerlichen Lebenswelt. Bestätigt durch zeitgenössische Strömungen konzipierten Liebermann und Lichtwark einen Garten, der eine Abkehr vom damals populären, englischen Landschaftsgarten darstellte. Beibehalten wurden die zum Teil perspektivisch angelegten Grünflächen. Neu hingegen waren, im Gegensatz zum englischen Landschaftsgarten, die klar gegliederten und rhythmisch gesetzten Gartenräume, die sich in einen Nutzgarten, Rasenflächen, Blumenterrassen, Heckengärten und einer Allee aus Birken aufteilten. In mehr als 200 Werken bildete Liebermann die Gartenlandschaft ab.
Neben dem Pastell Blumenbeet im Garten am Wannseegibt das Gemälde Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordwesten (1921) Einblick in Liebermanns Privatleben und zeigt erneut auf, welche Divergenzen im Œuvre des Künstlers zu finden sind. Entgegen der Porträts arbeitete Liebermann bei seinen Landschaftsdarstellungen mit der „größtmöglichen Subjektivität in der Natur […], wie es nicht viele seiner menschlichen Modelle für sich in Anspruch nehmen konnten.“
Auch heute haben Liebermanns Arbeiten einen hohen Stellenwert in der Sammlung des Kunstmuseum Gelsenkirchen. Neben der Präsentation in der Dauerausstellung, wo die Arbeiten großen Anklang finden, werden einige Werke ausgeliehen. So ist das Gemälde Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordwesten (1921) aktuell „auf Reisen“ und Teil der Ausstellung „Wir Feiern Liebermann! Leihgaben aus deutschen Sammlungen zu 25 Jahren Max-Liebermann-Gesellschaft“ in der Liebermann-Villa am Wannsee.
Roger Rohrbach ist freier Kurator und seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sammlung des Kunstmuseum Gelsenkirchen.