Von der Dauerleihgabe zur Schenkung

19.11.2020 von Anna Fischer

Ein Selbstbildnis von Max Liebermann

Im zweiten Teil unserer Gastblogging-Reihe „Wir Feiern Liebermann!“ stellt Ihnen Anna Fischer, seit 2003 Mitarbeiterin am Centrum Judaicum, eine ganz besondere Dauerleihgabe vor, die 2020 zur Schenkung wurde: Max Liebermanns „Selbstporträt“ von 1928. Mit einer bewegenden Geschichte wirft das späte Gemälde des bahnbrechenden Künstlers noch heute zahlreiche Fragen auf.

Am 7. Mai 1995 öffnete die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum ihre Türen und damit auch ihre erste Dauerausstellung „Tuet auf die Pforten“. An dieser Ausstellung in den wiederhergestellten und restaurierten Räumen unter der goldenen Kuppel der Neuen Synagoge, die unter der Leitung von Jochen Boberg, Museumspädagogischer Dienst, und Hermann Simon, dem Gründungsdirektor des Centrum Judaicum entstand, waren viele beteiligt. Auf mehr als 500qm wurden Fundstücke und Objekte ausgestellt, die Berliner jüdische Geschichte erzählten. Zum ersten Mal in einer ständigen Präsentation, war auch ein Werk eines privaten Leihgebers darunter: Ein Selbstbildnis von Max Liebermann. Der Künstler, Berlins Ehrenbürger und Präsident der Akademie der Künste, hatte das Bild 1928 gemalt, ein Jahr nach seinem 8o. Geburtstag. Es zeigt ihn sitzend von vorn, den Betrachter direkt ins Gesicht blickend.

Max Liebermann, Selbstporträt, 1928, © Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Foto: Anna Fischer.

Max Liebermanns „Selbstporträt“ von 1928

Schon 1936 war das Gemälde in der Max-Liebermann-Gedächtnisausstellung des Berliner Jüdischen Museums in der Oranienburger Straße 31, in direkter Nachbarschaft zur Neuen Synagoge, ausgestellt. Dies ist in einem kleinen Katalog zur Ausstellung und durch Fotos von Abraham Pisarek zur Eröffnung am 9. Februar 1936 dokumentiert. Im Katalog „Was vom Leben übrig bleibt sind Bilder und Geschichten“ heißt es bezugnehmend auf das Werkverzeichnis von Matthias Eberle: „1937 Bern, verkäuflich, Privatbesitz“. Vom vormaligen Besitzer wissen wir heute, dass sich das Gemälde seit zwei Generationen in Privatbesitz befand.

Doch wem gehörte das Bildnis vor 1936? Wer gab dieses Gemälde als Leihgabe in die Max-Liebermann-Gedächtnisausstellung? Nach Recherchen zur Liebermann-Ausstellung im Centrum Judaicum 1997 ist davon ausgegangen worden, dass es „die wesentlichen privaten Leihgeber waren, Heinrich Stahl und Martha Liebermann“, von denen das Berliner Jüdische Museum für die Gedächtnisausstellung entleihen konnte. Was geschah mit dem Gemälde nach dem Ende der Ausstellung im März 1936? Wieso ging es nach Bern und auf welchem Weg kam es wann nach Deutschland zurück?

Max Liebermanns Selbstporträt von 1928 in der Dauerausstellung Tuet auf die Pforten vor der Neugestaltung, © Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Foto: Anna Fischer.

Zentrale Dauerleihgabe

In Vorbereitung der ersten Dauerausstellung des Centrum Judaicum konnte Hermann Simon den privaten Eigentümer dafür gewinnen, dieses Gemälde 1995 als Leihgabe der neueröffneten Exposition zur Verfügung zu stellen. Bei Vertragsverlängerung der Dauerleihgabe bekräftigte er seinen Wunsch in einem Brief vom 26.9.1996: „wenn Gemälde von prominenten Künstlern in Privathaushalten ‚verkümmern‘ und nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind, ist es doch sehr schade. Deshalb hatten wir uns primär auch an […] [Sie] gewandt.“ Das Centrum Judaicum war eben der Ort in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich das Berliner Jüdische Museum von Januar 1933 bis November 1938 befand.

Erfreuliche Schenkung

Nach der Neugestaltung und Wiedereröffnung der heutigen Dauerausstellung sollte Liebermanns Selbstportrait von 1928 bis zu seiner geplanten Rückgabe an den Eigentümer im Sammlungsdepot des Centrum Judaicum verbleiben. Jedoch wurde nun inmitten der Corona-Pandemie zu unserer Überraschung das Kunstwerk dem Centrum Judaicum als Schenkung angeboten. In einem Telefonat im März 2020 wiederholte der Eigentümer seinen bereits 1996 formulierten Wunsch, dieses Gemälde in der Nähe zum vormaligen Ausstellungsort der Max-Liebermann-Gedächtnisausstellung von 1936 zu wissen.

Aus einer anfänglich halbjährigen Leihgabe wurde eine Dauerleihgabe von 25 Jahren und nun eine Schenkung unter neuen Vorzeichen. In einer herzlichen und erfrischenden Begegnung mit dem Eigentümer wurde das Gemälde am 4. August 2020 der Stiftung übereignet.

Max Liebermanns Selbstporträt von 1928 in der Dauerausstellung Tuet auf die Pforten vor der Neugestaltung, © Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Foto: Anna Fischer.

Fragen an das Werk

Weitere Fragen, die sich im Vorfeld stellten, galt es in Zusammenarbeit mit einem Gemälderestaurator abzuklären. Es waren u.a.: Wann wurde das Gemälde doubliert? Das Werkverzeichnis von Eberle und der Katalog von 1997, Nr. 49, nennen keinen Zeitpunkt. Wurde noch zu Liebermanns Lebzeiten oder für die Gedächtnisausstellung 1936 eine schützende Rückwand eingefügt und wenn ja, warum?

Eine weitere sehr spannende Frage betrifft die Signatur: Rechts unten im Bild steht mit dunkler Farbe „M Liebermann“. Die Signatur zeigt in ihrer Struktur Brüche und Unsicherheiten, die nach dem Urteil von Kennern dem Maler Max Liebermann nicht eigen waren. Soweit es bisher möglich war, unterscheidet sich die Signatur auf dem hier beschriebenen Gemälde von 1928 erheblich von anderen Signaturen von Max Liebermann.

Auf einem zeitgenössischen Foto von Abraham Pisarek, entstanden zur Eröffnung der Gedächtnisausstellung 1936, ist Liebermanns Selbstportrait von 1928 neben anderen zu sehen. Eine Signatur „M Liebermann“ ist an gleicher Stelle zu erkennen, wie sie auch auf dem Gemälde zu finden ist. Jedoch existiert Pisareks Foto nicht als Negativ, sondern liegt lediglich als Originalabzug in der Größe 13 x 18cm vor. Somit ist es selbst bei einem hochauflösenden Scan nicht möglich Details der Signatur zu erkennen; nur durch weiterführende Maßnahmen könnten sie sichtbar gemacht werden.

Das Gemälde gibt uns also noch einige Rätsel auf, auch 92 Jahre nach seinem Entstehen.

Anna Fischer arbeitet seit 2003 im Centrum Judaicum und koordiniert seitdem verschiedene Ausstellungen. Außerdem betreut sie die Sammlung und das Bildarchiv. Dieser Beitrag erschien erstmals am 4. September 2020 auf dem Blog des Centrum Judaicum.