Porträt eines historisch gekleideten Mannes mit fülligem Bart und historischem Kragen.
Max Liebermann, Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals, 1896, Öl auf Leinwand, 41 x 32 cm, Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Wenn Bilder sprechen

03.10.2022 von Alice Cazzola

Eine Ausstellung zur Provenienzforschung in der Liebermann-Villa

Die Provenienzforschung (aus dem Lateinischen provenire = hervorkommen, entstehen) untersucht die Herkunftsgeschichte und Besitzverhältnisse von Kulturgütern. Neben der Forschung zu Kulturgutentzug im kolonialen Kontext, in der Sowjetischen Besatzungszone oder in der DDR steht in Deutschland besonders die Provenienzforschung im Rahmen der nationalsozialistischen Vergangenheit im Vordergrund. Ab der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten 1933 wurden viele Kunstwerke jüdischen Besitzer*innen enteignet oder mussten verfolgungsbedingt verkauft werden. So dient die Provenienzforschung heute dazu, unrechtmäßige Besitzwechsel während der NS-Zeit offenzulegen und – im Idealfall – eine „gerechte und faire Lösung“ mit den Erb*innen zu finden.

Provenienzforschung in der Liebermann-Villa

Für die Liebermann-Villa am Wannsee ist die Provenienzforschung von grundlegender Bedeutung. Bereits zwei Ausstellungen in unserem Haus präsentierten die Forschungsergebnisse zu Provenienzrecherchen:

Plakat zur Ausstellung „Verlorene Schätze. Die Kunstsammlung von Max Liebermann“, 2013, Max-Liebermann-Gesellschaft

Abb.1. Plakat zur Ausstellung „Verlorene Schätze. Die Kunstsammlung von Max Liebermann“, 2013, Max-Liebermann-Gesellschaft

„Verlorene Schätze. Die Kunstsammlung von Max Liebermann“ (2013, Abb. 1) behandelte die verlorene Sammlung von Max und Martha Liebermann und „London 1938. Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler“ (2018, Abb. 2) widmete sich der Londoner Schau „Twentieth Century German Art“ von 1938 und den Provenienzen der dort ausgestellten Werke.

Plakat zur Ausstellung „London 1938. Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler“, 2018, Max-Liebermann-Gesellschaft

Abb. 2 Plakat zur Ausstellung „London 1938. Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler“, 2018, Max-Liebermann-Gesellschaft

Untersuchung der eigenen Sammlung

Ende 2020 trat dann die Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft, dem Trägerverein der Liebermann-Villa, in den Vordergrund unserer Forschung. Dank einer Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste konnte somit der Großteil der eigenen Haussammlung auf sogenanntes NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut proaktiv überprüft werden. Es handelt sich hierbei um 150 Werke, die vor 1945 entstanden sind und zwischen 1999 und 2013 in die Sammlung eingegangen sind. Provenienzlücken zwischen 1933 bis 1945 sollen so weit wie möglich geschlossen werden und unrechtmäßig entzogene Objekte identifiziert werden, um mit den rechtmäßigen Eigentümer*innen „gerechte und faire Lösungen“ zu finden.

Der Bestand setzt sich größtenteils aus druckgrafischen Blättern zusammen. Die Arbeiten stammen hauptsächlich von Max Liebermann (1847–1935) selbst, daneben finden sich Liebermann-Porträts von Zeitgenossen wie Emil Orlik, Emil Stumpp oder Oskar Kokoschka und eine Liebermann-Büste von Fritz Klimsch. Hinzu kommen mehrere Zeichnungen, Pastell- und Aquarellarbeiten sowie vier Gemälde von Max Liebermann. Obwohl einige Werke durch mögliche NS-Verfolgung belastet sind, haben viele erfreulicherweise unbedenkliche Provenienzen.

Schlüsselwerk der Ausstellung: Liebermanns Kopie eines „St. Adriansschützen“

In unserer Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“ (Abb. 3) stellen wir eine Auswahl der Forschungsergebnisse vor. Wir erzählen von den Herkunftsgeschichten ausgewählter Exponate, vom Umfeld Max Liebermanns und von den Herausforderungen, die das Forschungsfeld bereithält.

Plakat zur Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“, 2022, Max-Liebermann-Gesellschaft

Abb. 3 Plakat zur Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“, 2022, Max-Liebermann-Gesellschaft

Schlüsselwerk der Ausstellung ist eine Liebermann-Kopie eines „St. Adriansschützen“ (1876, Abb. 4) nach dem niederländischen Maler Frans Hals (1582–1666). Anhand von fünf Stationen legen wir die Provenienz des Werks offen, das im Zuge der Recherchen als Raubkunst identifiziert werden konnte.

Porträt eines historisch gekleideten Mannes mit fülligem Bart und historischem Kragen.

Abb. 4 Max Liebermann, Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals, 1896, Öl auf Leinwand, 41 x 32 cm, Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Der Abdruck des Nachlassstempel „MLiebermann“ mit faksimilierter Liebermann-Signatur (Abb. 5) am unteren rechten Bildrand weist darauf hin, dass das Werk bis mindestens März 1935 der Witwe des Künstlers gehörte. Zu dieser Zeit bezeichnete Martha Liebermann (1857–1943) alle noch in ihrem Besitz befindlichen unsignierten Werke ihres am 10. Februar 1935 verstorbenen Ehemannes mit ebendiesem Stempel. Es bleibt offen, ob der „St. Adriansschütze“ noch am 24. Juli 1943 in der Wohnung von Martha Liebermann in der Graf-Spee-Straße 23 (heute Hiroshimastraße) durch die Gestapo beschlagnahmt wurde oder ob sie das Werk schon in der Zeit 1935–1943 aus finanzieller Not verkaufen musste. In beiden Fällen ist das Gemälde als Raubkunst einzustufen, da sich aufgrund der NS-Verfolgung die Besitzverhältnisse zwischen 1933 und 1945 geändert haben.

Nahansicht des Nachlasstempels MLiebermann auf der Leinwand eines Kuntwerks.

Abb. 5 Max Liebermann, Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals, 1896, Öl auf Leinwand, 41 x 32 cm, Detail des Nachlassstempels, Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Ab spätestens 1943 ist der Standort des Bildes über Jahrzehnte unklar. Erst im Jahr 2002 wurde der „St. Adriansschütze“ in einem Berliner Auktionshaus zum Verkauf angeboten mit der Provenienz: „Nachlaß des Künstlers / Privatsammlung, Israel“. Wir wissen nicht, wie und wann das Werk nach Israel gelangte, da aus Datenschutzgründen das Auktionshaus keine Auskunft über die einliefernde Privatsammlung des Werkes geben kann.

Nachdem das Werk auf der Auktion unverkauft blieb, wurde es 2003 im Nachverkauf durch die Max-Liebermann- Gesellschaft erworben. 2022 konnte eine Einigung mit den Urenkelinnen von Max und Martha Liebermann getroffen werden. Die Nachfahrinnen verzichten auf eine Entschädigung oder Rückgabe und stimmen dem Verbleib des Werks in der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft ohne materielle Entschädigung zu. Es wurde vereinbart, dass bei der Präsentation des Gemäldes immer auf das Schicksal der Familie Liebermann und die Provenienz des Bildes hingewiesen wird. (Abb. 6)

Aktuelle Ansicht eines Ausstellungsraumes mit Tisch in der Mitte, auf dem ein gerahmtes Gemälde sowie Unterlagen und Werkzeuge liegen.

Abb. 6 Während der Provenienzrecherchen in den Ausstellungrräumen der Liebermann-Villa, Max-Liebermann-Gesellschaft

Wenn Bilder sprechen

Wenn Bilder sprächen, dann würden sie von ihren bewegten Herkunftsgeschichten erzählen können. Somit wüssten wir, was mit den Kunstwerken nach ihrer Entstehung passierte. Wir wüssten, ob sie erst beim Künstler oder der Künstlerin blieben oder ob sie hingegen gleich verkauft bzw. verschenkt wurden. Wir wüssten welchen Sammlungen sie angehörten, ob und unter welchen Umständen sie ihre Besitzer*innen wechselten. Wir wüssten auch, ob sie ausgestellt oder verauktioniert wurden – kurz welche Wege sie nahmen, bis sie in die Liebermann-Villa am Wannsee kamen.

Wenn Bilder sprechen, so erzählen sie jedoch nur auf verschlüsselte Weise von ihren Herkunftsgeschichten. In den besten Fällen lassen sich verbliebene Spuren auf den Kunstobjekten identifizieren, sodass sie Provenienzhinweise zu Vorbesitzer*innen geben. Besonders wichtig sind hierbei die Bildrückseiten auf denen sich zum Beispiel Sammler*innen- oder Zollstempel, handschriftliche Anmerkungen oder Aufkleber von Auktionshäusern, Galerien oder Kunsthandlungen befinden können. Die Herausforderung dabei ist, diese Hinweise korrekt zu entschlüsseln, um die mit dem Werk verbundenen Personen, Orte oder historischen Ereignisse nachweisen zu können.

Wünschenswert in der Provenienzforschung ist eine lückenlose Chronologie. Der Verbleib von Werken über Jahrzehnte in Privatbesitz und eine unübersichtliche Quellenlage können dazu führen, dass die Objektbiografien fragmentarisch bleiben. Solche Provenienzlücken zeugen von der Komplexität des Forschungsfelds und der Langwierigkeit der Recherchen. Diese Herausforderung veranschaulichen wir in der Ausstellung: Trotz intensiver Recherchen konnten die Wege mehrerer Objekte seit Entstehung, bis Eingang in unsere Sammlung nicht vollständig geklärt werden. Durch diese Ausstellung, die den aktuellen Forschungsstand darlegt, erhoffen wir uns, das Interesse für die Provenienzforschung zu Liebermann zu wecken und Antworten zu unseren Fragen zu finden. Ein wichtiger Schritt nach vorne, um in Zukunft die Provenienzen der gesamten Haussammlung zu überprüfen.