Wir feiern Liebermann!
22.10.2020 von Nuria Jetter
Das erste Bild Max Liebermanns in einem deutschen Museum
Heute beginnt unsere neue Gastblogging-Reihe. Im Rahmen unserer Sonderausstellung „Wir Feiern Liebermann! Leihgaben aus deutschen Sammlungen zu 25 Jahren Max-Liebermann-Gesellschaft“ veröffentlichen wir einmal im Monat, ein Jahr lang ab Oktober 2020 einen Gastbeitrag auf dem Blog der Liebermann-Villa.
Im Fokus stehen Liebermann-Werke aus deutschen Museumssammlungen. Kurator*innen, wiss. Mitarbeiter*innen und Volontär*innen sind eingeladen, Einblicke über die Provenienz-, Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte eines ihrer Schlüsselwerke zu geben. In diesem Beitrag schreibt die Kunsthistorikerin Nuria Jetter über Flachsscheuer in Laren (1887) das erste Bild Liebermanns in einem deutschen Museum. Dass diese Kooperationen möglich waren und die Idee so viel Anklang fand, freut uns sehr. Seien Sie gespannt auf interessante Forschungsansätze.
Das erste Bild Max Liebermanns in einem deutschen Museum. 1889 gelangte „Flachsscheuer in Laren“ in die Nationalgalerie
Das erste Bild Max Liebermanns, das in die Sammlung eines deutschen Museums gelangte, war Flachsscheuer in Laren (1887, Abb. 1). Dieser Schritt kann als ein Markstein seines Erfolgs gewertet werden. Ihm vorausgegangen waren lange Verhandlungen. Denn der Künstler hatte angeboten, der Nationalgalerie das Bild, dessen Wert auf 12.000 Mark geschätzt wurde, zu schenken. Es kam ihm, wie er erklärte, nicht auf das Geld, sondern auf die Ehre an, es überhaupt in der Galerie zu wissen. Dies verwundert wenig, denn ein Platz in der nationalen Galerie für zeitgenössische Kunst konnte offensichtlich als Gütesiegel fungieren und dem Werk dauerhafte Aufmerksamkeit verschaffen. Doch hatte er die Bedingung gestellt, dass es als Ankauf deklariert würde, denn nur auf diese Weise sah er seine öffentliche Reputation in ausreichendem Maße gewährleistet.
Dieser Spagat zwischen Schenkung und Ankauf erforderte eine Lösung, der auch das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, dessen Genehmigung das Museum einholen musste, zustimmen konnte. Sie bestand darin, die Schenkung anzunehmen, dem Künstler jedoch einen auf 500 Mark geschätzten Selbstkostenpreis zu erstatten. So konnte die Nationalgalerie das ihr bereits im Vorjahr übergebene Gemälde 1889 in ihre Sammlung aufnehmen. Bald darauf erfolgten Ankäufe für andere wichtige Museen: Noch im selben Jahr wurde Die Netzflickerinnen (1887/89) für die Hamburger Kunsthalle gestiftet und 1891 erwarb die Neue Pinakothek in München Alte Frau mit Ziegen (1890). Damit war die offizielle Anerkennung des Künstlers besiegelt.
Der Umbruch von der anfangs überwiegend negativen Rezeption war jedoch zuvor schon in Kunstzeitschriften erfolgt. 1887 erschien eine Studie über den Naturalismus und Max Liebermann, deren Autor die von früheren Kritikern abgelehnte „Hässlichkeit“ seiner Bilder als Kennzeichen einer „Aufrichtigkeit“ bewertete. Darüber hinaus verglich der Verfasser, Emil Heilbutt, ihn mit Adolph Menzel, dem großen Realisten. Dabei ging er so weit, Liebermann als Vollender eines von Menzel nicht zu Ende gegangenen Weges darzustellen: Dieser habe zwar das Theatralische überwunden, doch indem er in seinem Studium der Wirklichkeit letztlich Geistreiches suche, sei er doch eher ein „Manierist“ als ein Realist. Diese Haltung müsse nun durch eine konsequentere ersetzt werden, die darin bestehe, „an die Natur heranzutreten in ihrer Einfachheit, welche erhaben ist, in ihrer Ruhe“. Dies erreicht zu haben galt ihm als Verdienst Liebermanns.
Indem Liebermann die Flachsscheuer für die Nationalgalerie auswählte, stellte er – ob Zufall oder nicht – eine vor diesem Hintergrund aussagekräftige Konstellation her. Denn schon seit 1875 war in deren Räumen Menzels Eisenwalzwerk (1872-75, Abb. 2) zu sehen, dessen malerische Umsetzung Liebermanns Onkel Adolph von Liebermann als Käufer ermöglicht hatte. Mit diesem Gemälde teilt die Flachsscheuer das über zwei Meter messende breite Format und das Thema. Denn wie dieses zeigt sie Menschen, die in eigens dafür bereitgestellten Räumen auf rationalisierte Weise arbeiten. Und neben diesem gilt sie als „die bedeutendste Darstellung kollektiver Arbeit in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts“.
Im Eisenwalzwerk ist jedoch die Handlung auf einen dramatischen Moment zugespitzt: Die Arbeiter sind im Begriff, mit verzerrten Gesichtern und ausgreifenden Gesten das glühende Eisen in die Walze zu befördern. Auch die Lichtregie mit ihrem Kontrast aus Glut und Schatten sowie das Gewirr aus Stangen, Rädern und Menschen fördern den Effekt des verblüfften Erstaunens. Die Flachsscheuer hingegen ist das Bild einer friedlichen Monotonie. So gleichförmig wie die Tätigkeit des Spinnens ist, reihen sich die Räder, Dielen, Fäden und Deckenbalken aneinander, und die Frauen und Kinder sind, jede und jedes für sich, in ihre eigene Arbeit vertieft. Dabei wird die Szenerie von einem hellen Tageslicht überstrahlt. Das Narrative ist hier fast gänzlich eliminiert.
Diese Unterschiede passen zu der von Heilbutt beschriebenen Konstellation und zu Liebermanns eigener, später formulierter Abgrenzung:
„Vor Menzel’s Bildern scheint einem die Kunst unendlich schwer; ich möchte, daß man von der meinigen denkt, daß sie zu machen ganz leicht wäre. Wie die japanischen Schächtelchen, wo eine immer in die andre eingekapselt ist, so kommt mir in einem M’schen Bilde immer ein Detail ins andre eingekapselt vor.“
Tatsächlich ist das Eisenwalzwerk so komponiert, dass Menschen und Maschinen auf vielfältige Weise ineinandergreifen, wobei sich rechts und links der Hauptszene untergeordnete Szenen angliedern. Die Flachsscheuer hingegen stellt durch den Parallelismus der Bildanlage eine frappierende Schlichtheit zur Schau.
Immer wieder setzte Liebermann sich mit Menzel auseinander und rieb sich an dem Vorbild. Dessen Bedeutung für ihn zeigt sich in Gemälden, in schriftlichen Äußerungen und in seiner Sammlung von Arbeiten Menzels. Auch sah er 1878 in Paris wahrscheinlich die Weltausstellung, die unter anderem mit dem dort ausgestellten Eisenwalzwerk den Ruhm Menzels in Frankreich begründete. Wenige Jahre später, 1881, wurde Liebermann dann von dem französischen Sammler Léon Maître als ein zweiter Menzel bezeichnet.
Wenn ein Künstler nach Anerkennung für eine eigenständige Leistung strebt, kann ein solches Lob jedoch offensichtlich nicht genügen. Indem Heilbutt „das Erklimmen der Einfachheit“ als ein künstlerisches Ziel darstellte, das dem von Menzel in seinen Bildern Erreichten überlegen sei, präsentierte er Liebermann als einen Künstler, der aus dem Schatten des Älteren herausgetreten war. Dabei nahm er außerdem eine Charakteristik vor, die auch an anderer Stelle die Rezeption Liebermanns bestimmte und nicht nur das Sujet, sondern auch Komposition und Malweise betraf. In einer Besprechung der internationalen Kunstausstellung in München hieß es 1888:
„Vor seinen Flachsspinnerinnen muss man unwillkürlich an die großen alten Meister denken, so einfach, so selbstverständlich ist hier alles. Hier spricht eine künstlerische Natur zu uns, die gar keines kleinlichen technischen Raffinements mehr bedarf […]. Was für eine erstaunliche Wirkung ist mit den einfachsten Mitteln erreicht!“
Zugleich erklärte der Verfasser Liebermann zu einem „Bahnbrecher“. So war die Flachsscheuer schon zwei Jahre vor ihrer Aufnahme in die Nationalgalerie zu einem breit wahrgenommenen und geschätzten Beispiel der von Liebermann vertretenen „neuen Richtung“ geworden.