
Wir ziehen Bilanz
25.10.2023 von Alice Cazzola
27 Monate Provenienzforschung in der Liebermann-Villa
Provenienzforschung zur eigenen Haussammlung war Dank einer Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste von Dezember 2020 bis März 2023 möglich. Das Ziel unseres Projektes war es, NS-verfolgungsbedingte Entzüge zu identifizieren sowie eine möglichst lückenlose Rekonstruktion der Eigentumsverhältnisse von insgesamt 150 Objekten zu leisten. Alice Cazzola, unsere für das Projekt angestellte Provenienzforscherin, fasst im Folgenden die Ergebnisse zusammen, zieht Bilanz und wagt einen Ausblick.

Historische Liebermann-Bücher aus dem Bestand der Liebermann-Villa am Wannsee, Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe
Ein heterogener Forschungsgegenstand
Im Rahmen des Projektes galt es 4 Ölgemälde, 1 Plastik, 16 Papierarbeiten, 13 Bücher, 5 Mappenwerke und 111 druckgrafische Arbeiten zu erforschen. Der größte Teil (knapp 73%) sind Werken von oder nach Max Liebermann, druckgrafische Reproduktionen nach Liebermann (etwa 13% stammen von Oskar Bangemann, teilweise in Zusammenarbeit mit Martin Hönemann und Reinhold Hoberg). Die übrigen Werke (etwa 14%) stammen von „Fremdkünstlern“, die vorrangig Max Liebermann porträtieren.

Abb. 2 Zusammensetzung der Objektgruppen nach Künstler aus Jahr 1 + 2
Die Objekte kamen, so besagt es das Inventarbuch, zwischen 1999 und 2013 als Schenkungen und Ankäufe in die Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V. Ein Objekt kam als sogenannte Übergabe und eines aus einem Dauerleihverhältnis ins Haus. Dabei handelt es sich bei 70% um Schenkungen aus Privatbesitz (104 Objekte), die zweite Gruppe mit rund 23% bilden Ankäufe aus Auktionen (33 Objekte) und dem Kunsthandel (1 Objekt). Rund 5% sind Ankäufe aus Privatbesitz (8 Objekte), zum Rest etwa 2% zählen eine Übergabe, eine Dauerleihgabe und zwei Erwerbungen aus unbekannter Quelle.

Abb. 3 Zugänge in die Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft nach Vorbesitzer*innen
Die Objektautopsie ließ weitere Rückschlüsse zu, so konnten die untersuchenden Objekte in vorhandene, getilgte oder nicht vorhandene Provenienzmerkmale unterteilt werden. In Folge der Untersuchung konnte festgestellt werden, dass knapp 30% der Werke keine Merkmale aufweisen. Abgesehen von handschriftlichen Notizen und Aufklebern oder Etiketten meist von Galerien, Kunsthandlungen oder Auktionshäusern, wurden auf 13% des Forschungsgegenstandes (21 Objekte) Abdrücke von verschiedenem Stempel identifiziert. Zwei Bücher tragen ein Exlibris; eine Radierung trägt eine handschriftliche Widmung.

Bei den Recherchen von Max Liebermanns Adriansschützen (1876), Max-Liebermann-Gesellschaft
Auswertung: Die Provenienzen der Objekte sind nach Farben kategorisiert
Nach Abschluss der Recherchen wurden die Provenienzen des Sammlungsbestands für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945, wie folgt, kategorisiert:
- Bei 20 Objekten (13,3%) ist die Provenienz als „rekonstruierbar und unbedenklich“ einzustufen. Also können diese als nicht NS-verfolgungsbedingt entzogene Werke bezeichnet werden. In diese Kategorie fallen zwei Werke, die nach 1945 entstanden sind und weitere 15 Objekte, deren Provenienz lückenlos zu rekonstruieren war.
- Bei 108 Objekten (72%) ist die Provenienz hingegen als „nicht eindeutig geklärt“ zu bezeichnen, da trotz intensiver Nachforschungen weiterhin Provenienzlücken bestehen oder die Provenienzen nicht zweifelsfrei unbedenklich sind.
- Bei 21 Objekten (14%) ist die Provenienz als „bedenklich“ einzustufen, da Hinweise auf einen Zusammenhang von NS-verfolgungsbedingtem Entzug vorliegen. Diese Objekte sind zukünftig prioritär zu untersuchen.
- Bei dem Gemälde Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627 erhärtete sich der Verdacht auf Raubkunst, sodass die Provenienz dieses Werkes eindeutig „belastet“ ist. Im Januar 2022 wurde eine gütliche Einigung zur Regelung eventueller Ansprüche wegen eines NS-verfolgungsbedingten Verlustes des Werks mit den rechtmäßigen Eigentümerinnen, den Urenkelinnen von Max und Martha Liebermann, erzielt.

Abb. 5 Kategorisierung der Provenienzen
Im Rahmen des Projektes konnten zahlreiche neue Erkenntnisse erzielt werden, selbstverständlich besteht weiterhin Forschungsbedarf, da 72% der untersuchten Objekte als „nicht eindeutig geklärt“ eingestuft werden mussten. Neues wurde vor allem zu Vorbesitzer*innen, Sammler*innen, Kunsthändler*innen sowie Zeitgenoss*innen von Liebermann aus der Familie und der damaligen Kulturlandschaft in Erfahrung gebracht. Des Weiteren gelangten wir durch unsere Recherchen zu noch mehr Wissen über Liebermanns Werk, im Besonderen zu seiner Druckgrafik und seinen editorischen Arbeiten. Hiermit erkannten wir das Potential, das in der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft steckt und wir bewusster im Sinne von Transparenz und Vermittlung damit umgehen sollten.
Ausblick: Neues zur Sammlungspraxis von Liebermanns Kunst
Im Laufe des Projektes stellten wir neue Forschungsfelder in Bezug auf die Translokationen von Liebermann-Werken fest. So wurden am Beispiel der Provenienzrecherche zu Liebermanns St. Adriansschützen neue Verlagerungskontexte der Werke Liebermanns deutlich. Das Werk war zwischen 1936 und 1938 nach Palästina gebracht worden und somit als Migrations- bzw. Fluchtgut ausgeführt. Als dringliches Desiderat stellt sich hiermit die Erforschung der Provenienzen der Liebermann-Werke, die sich in Museen des heutigen Staates Israel befinden, dar.
Als Fazit lässt sich schließen, dass die Provenienzforschung von Liebermann-Werken über den Bereich „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ hinausgeht und ebenso den Bereich der Kulturgutentziehungen in der SBZ und DDR miteinschließt. Beispiele dafür sind zwei druckgrafische Blätter aus den Kunstsammlungen von Georg Brühl und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die später zur Partei des Demokratischen Sozialismus wurde. Hier gilt es, die Provenienzen nicht nur für den Zeitraum vor 1945, sondern auch nach 1945 zu untersuchen, wodurch weitere Rückschlüsse zur Entwicklung der Sammlungspraxis von Liebermanns Kunst gezogen werden könnten.