Max Liebermann
Berliner Jude und Preuße
Und wenn ich mich durch mein ganzes Leben als Deutscher gefühlt habe, es war meine Zugehörigkeit zum Judentum nicht minder stark in mir lebendig.
An Meir Dizengoff am 12. August 1931
Im Rahmen des Projektes „Max Liebermann und das jüdische Leben in Berlin“ beleuchtet diese Online-
Ausstellung Liebermanns Verhältnis zu seiner jüdischen Identität.
Geboren wurde Max Liebermann (1847-1935) in eine großbürgerliche Unternehmerfamilie, die sich gleichermaßen als Juden*Jüdinnen und als Preußen verstanden. In seinem Lebenslauf schrieb Max Liebermann als Abiturient 1866:
„Ich, Max Liebermann, bin am 20. Juli 1847 in Berlin geboren. Mein Vater Louis Liebermann, erzog mich treu dem Glauben der Väter, in der jüdischen Religion.“
Liebermanns Großvater Joseph (1783-1860) war im Kontext des „Ediktes betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ im Jahr 1812 aus Märkisch Friedland (heute: Mirosławiec, Polen) nach Berlin gekommen, um die Vorteile der voranschreitenden Gleichstellung der Juden in Preußen als Textilunternehmer zu nutzen. Liebermanns Vater Louis (1819-1894) führte das Unternehmen erfolgreich weiterfort.
Martha (1857-1943), Liebermanns spätere Ehefrau, war ähnlich sozialisiert wie ihr Gatte. Auch sie entstammte einer aus Märkisch Friedland emigrierten jüdischen Kaufmannsfamilie.

Liebermann besuchte mit seiner Familie die Alte Synagoge in der Heidereutergasse (Berlin-Mitte, Nähe Alexanderplatz). Der Großvater Joseph Liebermann war langjährig mit der Gemeinde verbunden und stiftete ihr einen Thoravorhang „Parochet“.
1714 als erste Synagoge Berlins eingeweiht, wurde sie durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße wurde erst später gebaut, als die Alte Synagoge durch die stark anwachsende Gemeinde zu klein wurde.
Liebermanns Enkelin Maria (1917-1997) wurde später im Jahr 1917 in der St. Hedwig Kathedrale am Gendarmenmarkt katholisch getauft. Ihr Vater Kurt Riezler (1882-1955) war Katholik.
Seiner sozialen Klasse und Zeit entsprechend, pflegte der Maler zeitlebens einen selbstbewussten und säkularen Umgang mit seiner jüdischen Identität. Seiner Auffassung nach, war „Religion Privatangelegenheit“ und er fühlte sich „im Übrigen als Deutscher“ wie er dem Dichter Richard Dehmel am 22. Juni 1908 schrieb.

Weihnachten bei den Liebermanns
Wie viele deutsch-jüdische Familien feierten auch die Liebermanns Weihnachten als interkonfessionelles Familienfest. Am 21. Dezember 1908 schrieb Max Liebermann an seinen Freund Alfred Lichtwark:
„[…] ich feiere alle Feste, christliche, jüdische, mohammedanische […]“.
Die Familie feierte säkular mit festlichen Speisen, einem Weihnachtsbaum und Geschenken füreinander. Von Otto Hermann Claass, einem Königsberger Kaufmann, bekam der Maler zu jedem Weihnachtsfest eine Königsberger Marzipantorte geschickt. Weihnachten 1909 beschenkte er seine Frau mit einer vom Bildhauer August Gaul angefertigte Brunnenfigur eines Otters, dessen Nachguss heute wieder im Garten der Villa am Wannsee steht. 1915 erhielt seine Tochter den Roman des jüdischen Autors Georg Borchardt „Vom gesicherten und ungesicherten Leben“. An den Autor schrieb Liebermann:
„P. S. das eine Ex[emplar] von Ihren Essay werde ich meiner Tochter unter den Christbaum (der in keiner besseren jüdischen Familie fehlen darf) legen.“

Liebermanns jüdisches Netzwerk
Max Liebermann verfügte über ein breites Netzwerk, das er durch persönliche Kontakte und intensive Briefwechsel pflegte. Zu diesem zählten viele bildende Künstler*innen, aber auch andere Persönlichkeiten aus dem Kulturkontext wie Schriftsteller und Dichter*innen, Schauspieler*innen, Kritiker, Museumsleitungen und Kuratoren oder Kunsthändler*innen. Gerade in diesem kulturellen Umfeld war der Anteil von Menschen jüdischer Konfession überproportional groß.
Auch viele Sammler*innen gehörten zu Liebermann Bekanntenkreis, wie Carl und Felicie Bernstein, die die ersten französischen Impressionisten nach Berlin gebracht hatten. Man denke hier an den Maler Jozef Israëls, mit dem Liebermann eng befreundet war, oder an Eugen Spiro, Ernst Oppler und Julie Wolfthorn, alle Mitglieder der Berliner Secession, an Max Friedländer, den Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts und der Gemäldegalerie, die Kunstkritiker Max Osborn und Julius Elias, der auch Schriftsteller und Kunstsammler war. Auch die Kunsthändler und Verleger und Mitbegründer der Berliner Secession Paul und Bruno Cassirer sind hier zu nennen.
Liebermanns Netzwerk entspann sich durch familiäre und freundschaftliche Kontakte auch im jüdischen Berliner Großbürgertum. Hier wären beispielsweise Emil und Walther Rathenau zu nennen, sein Cousin bzw. Großcousin.

Liebermanns Engagement
Liebermann setzte sich immer wieder für die Belange von Juden*Jüdinnen sowie für jüdische Kulturinstitutionen ein. So wurde er 1906 Mitglied des Berliner Aktionskomitees zur „Einführung von Hausindustrie und Kunstgewerbe in Palästina“, übernahm 1929 den Ehrenvorsitz des neu gegründeten Jüdischen Museumsvereins in Berlin und war ab Sommer 1933 Ehrenpräsident des „Kulturbundes der deutschen Juden“, in dem sich die von der NS-Reichskulturkammer ausgeschlossenen jüdischen Künstler*innen organisierten.
1905 beteiligte er sich an der Organisation einer Ausstellung, welche die finanzielle Unterstützung für die Opfer der antisemitischen Pogrome im zaristischen Russland zum Ziel hatte und schrieb am 7. Dezember an den Kunsthistoriker und Museumsdirektor Wilhelm von Bode*, der die Berliner Museumslandschaft entscheidend prägte:
„Sehr geehrter Herr Geheimrat! Zu Gunsten der Opfer der russischen Judenmetzeleien wird eine Ausstellung von Werken christlicher und jüdischer Künstler vorbereitet. Die Veranstalter dieser Ausstellung gestatten sich Sie zu ersuchen, dem Komiteé beitreten zu wollen und erwarten zuversichtlich, dass Sie gern diese Gelegenheit ergreifen werden, dem unerhörten Elende steuern zu helfen und Ihren Abscheu gegen diese Greuel zu dokumentieren.“

Liebermann selbst hatte sich nie als Zionist verstanden und dennoch wertschätzende Worte über die zionistische Bewegung gefunden, wie es der Kunstkritiker Adolph Donath 1902 in „Der Welt: Zentralorgan der Zionistischen Bewegung” zu berichten wusste:
„Max Liebermann widmet dem Zionismus großes Interesse. „Das ist etwas unerhört Ideales. Mag nun,“ sagte er ungefähr zu mir, „die Idee durchgeführt werden oder nicht, der moralische Effekt ist schon heute sehr groß. Wenn man bedenkt, dass das Band zwischen den Juden, die in der ganzen Welt zerstreut sind, seit Jahrtausenden zerrissen war, und dass es heute gleichsam restauriert und dann immer fester gespannt wird, muss man der zionistischen Bewegung seine Aufmerksamkeit schenken. Die Idee ist faszinierend. […] Der [k]ulturelle Fortschritt, welcher heute mit dem Zionismus verbunden ist, lässt sich heute noch nicht bemessen. Gering wird er sicher nicht sein!“
Zum Ende seines Lebens veränderte Liebermann angesichts der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik sein Verhältnis zur jüdischen Staatsgründung. An Meir Dizengoff, den ersten Bürgermeister von Tel Aviv, schrieb er am 12. August 1931:
„Wenn ich auch nicht Zionist bin – denn ich bin von einer früheren Generation – so verfolge ich doch die ideellen Ziele, denen er nachstrebt, mit größtem Interesse.“
Und an den Dichter Chaim N. Bialik schrieb er am 28. Juni 1933:
„Sie, Herr Bialik, erinnern sich vielleicht der Gespräche, die wir, als ich Sie radieren durfte, über diesen Gegenstand führten und in denen ich zu erklären suchte, warum ich dem Zionismus fern gestanden bin. Heut denke ich anders: so schwer es mir auch wurde, ich bin aus dem Traume, den ich mein langes Leben geträumt habe, erwacht. Leider kann man einen so alten Baum – ich werde im nächsten Monat 86 Jahre alt – nicht mehr verpflanzen.”
Im Januar 1934 zahlten Max und Martha Kindern des jüdischen Kinderheims Beit Ahawah in der Auguststraße in Berlin-Mitte die Überfahrt nach Haifa, Palästina.

Jüdische Bildmotive
In Liebermanns Werk sind nur wenige Motive mit einem Bezug zum Judentum zu finden. Neben Liebermanns säkularem Religionsbezug ist wohl ein Grund, dass ihm im sogenannten Jesus-Skandal seine Motivwahl zum Verhängnis wurde:
1879 nahm Liebermann als junger Künstler mit dem Gemälde „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ an der internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast teil. Sein ausgestelltes Werk wurde durch die Kunstkritik zu einem antisemitischen Skandal um die Motivwahl und seine Person.
Im Lukasevangelium wird beschrieben, wie Maria und Josef mit ihrem zwölfjährigen Sohn anlässlich von Pessach nach Jerusalem reisten, der junge Jesus dort jedoch verloren ging und erst nach dreitägiger Suche im Tempel gefunden wurde, wo er sich in einem regen Austausch mit den Gelehrten befand: „Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten“ (LK 2,47).
Vom Zeitgeist des Orientalismus im 19. Jahrhundert geprägt, in der eine Annäherung an den „Orient“ stattfand und es üblicher wurde, Jesus auf realistische Weise innerhalb seiner historischen jüdischen Kontexte zu porträtieren, entstand Liebermanns Gemälde nach Studien in den sephardischen Synagogen in Amsterdam und Venedig.
In seiner Darstellung sind die Figuren durch ihre Kleidung und ihr Haar als jüdisch zu identifizieren. Im Zentrum des Bildes steht auf der ursprünglichen Darstellung der barfüßige junge Jesus, der ein kurzes, unregelmäßig fallendes Gewand und bis auf die Schläfen gekürztes Haar trägt. Um ihn herum platziert sind die Gelehrten: Die Stehenden sind in langen Mänteln mit Stehkragen, einem verzierten Gürtel, einem sogenannte „Gartl“, mit pelzbesetzten „Spodek“-Mützen gekleidet sowie durch Schläfenlocken „Pejot“ und Vollbart als Juden zu erkennen. Die sitzenden Schriftgelehrten tragen den Gebetsschal „Tallit“ um die Schultern gelegt.
Diese Darstellung des „naseweisen Judenbengels“ empfanden Publikum und Presse als eine absichtsvolle Verletzung des christlichen religiösen Gefühls und unterstellten Liebermann, die Grenze zur Blasphemie deutlich überschritten zu haben. Auch im christlichen Kunstblatt war man empört, „daß ein Jude es wagt, seinen christlichen Mitbürgern solche Verhöhnung ihres Heilands ins Gesicht zu schleudern“. Die Reaktionen auf Liebermanns Gemälde waren so stark, dass sich selbst der bayrische Landtag in einer zweitägigen Debatte mit dem Fall befasste.
Liebermann übermalte schließlich seinen kindlichen Jesus und stellte ihn nun in ein sauberes helles Gewand und Sandalen gekleidet, mit Schulterlangen blonden Haaren und mit zurückhaltenden Gesten dar.
Über dreißig Jahre lang vermied er religiöse Themen in seinen Werken.
Die Liebermanns im Nationalsozialismus
Nach dem Ersten Weltkrieg erfuhren Juden*Jüdinnen in der Weimarer Republik einen erstarkenden Antisemitismus. Bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten stand Liebermann immer wieder im Fokus der völkischen Propaganda. Unerschütterlich hielt er an seiner Identität als Berliner, Preuße und Jude fest:
„Mit Professor Einstein habe ich oft über die Judenfrage gesprochen. Ich habe es mein Leben lang so gehalten, daß ich immer zuerst gefragt hab‘: Was ist das für ein Mensch? Niemals danach, ob einer Jude, Christ oder Heide war. Ich bin als Jude geboren und werde als Jude sterben.“
1927 entschied die Stadtverordnetenversammlung Liebermann die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Diese Ehre gegenüber einem jüdischen Mitbürger war innerhalb des Gremiums stark umstritten gewesen.
Im selben Jahr porträtierte Liebermann den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, was zu Anfeindungen in der Nazi-Presse führte. Das blieb von Liebermann nicht unkommentiert:
„Neulich hat ein Hitler-Blatt geschrieben, es wäre unerhört, dass ein Jude den Reichspräsidenten Hindenburg malt. Über so etwas kann ich nur lachen, und ich bin überzeugt, Hindenburg lacht auch darüber. Ich bin doch nur ein Maler; was hat die Malerei mit dem Judentum zu tun?“.

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde der Antisemitismus zum Staatsziel ernannt. Dies erlebten Liebermanns Tochter Käthe und der Schwiegersohn Kurt Rietzler durch die staatliche Infragestellung ihrer sogenannten Mischehe. Als eine Konsequenz wurde Kurt Rietzler Anfang April 1933 während einer sogenannten Schutzhaft durch die SA zur Niederlegung seiner Honorarprofessur an der Philosophischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main gezwungen.
Nachdem die Akademie der Künste angekündigt hatte, keine Werke jüdischer Künstler*innen mehr auszustellen und nach dem Gesetz zur Wiedereinführung des Berufsbeamtentums, dem sogenannten Arierparagraphen, vom 7. April 1933 eine Entlassung Liebermanns bevorstand, kam dieser den Nationalsozialisten zuvor und legte am 7. Mai 1933 seine Ehrenpräsidentschaft der Preußischen Akademie der Künste nieder und erklärte seinen Austritt.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Liebermann zurückgezogen, tief erschüttert vom politischen und kulturellen Umbruch und isoliert durch die offiziellen Vertreter aus Kultur und Gesellschaft.
Am 28. Juni 1933 berichtete er Meir Dizengoff und Chaim Bialik von dem Schock, den er und seine jüdischen Mitbürger*innen erleben mussten:
„Wie ein fürchterlicher Alpdruck lastet die Aufhebung der Gleichberechtigung auf uns allen, besonders den Juden, die wie ich, sich dem Traum der Assimilation hingegeben hatten.“
Am 8. Februar 1935 verstarb der Maler in seinem Haus am Pariser Platz. Schon Jahre zuvor hatte Liebermann selbst mit dem Künstler Arno Breker vereinbart, dass dieser seine Totenmaske abnehmen würde. 1936 wurde ein Abguss jener Maske im Rahmen der Liebermann-Gedächtnisausstellung im damaligen Jüdischen Museum, in der Oranienburger Straße, gezeigt.
Später wurde Breker auf Joseph Goebbels Liste der „Gottbegnadeten“ aufgenommen und war einer der etabliertesten Künstler im NS-Staat, der unter anderem Skulpturen und Reliefs für die Neue Reichskanzlei anfertigte.

Beigesetzt wurde Liebermann am 11. Februar 1935 auf dem Jüdischen Friedhof auf der Schönhauser Allee. Kein offizieller Vertreter nahm an der Beerdigung teil, die Beerdigungs-Gesellschaft aus etwa 100 Personen bestand aus Angehörigen, Freund*innen und Berliner Künstler*innen. Der jüdische Fotograf Abraham Pisarek (1891–1983) fotografierte die Beisetzung. Von ihm ist folgender Bericht überliefert:
„[…] am 8. Februar 1935 in der Redaktion der jüdischen Gemeindezeitung erfuhr (ich), daß mein verehrter alter Meister gestorben war. Die Gestapo hatte Publikum bei der Beerdigung verboten, damit es auf keinen Fall zu so etwas wie einer Demonstration käme. […] Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Bilder von der Beerdigung aufzunehmen, gerade nicht … Ich zog mich an einem der Steine hoch und fotografierte, die Kamera in den Efeu gedrückt, wie der Sarg herausgetragen wurde.“

Die Witwe Martha versah gemeinsam mit Liebermanns Biografen Erich Hancke alle unsignierten Gemälde und Zeichnungen mit einem Nachlassstempel. Noch im selben Jahr verließ sie das Haus am Pariser Platz und zog in eine Wohnung in der Graf-Spee-Straße im Tiergartenviertel (Heute: Hiroshimastraße). Die Schenkung des Hauses am Pariser Platz an den nicht-jüdischen Schwiegersohn wurde durch die Nazis nicht anerkannt und 1938 beschlagnahmt. Auch die Villa am Wannsee musste sie 1940 an die Reichspost verkaufen, wobei der Verkaufswert auf ein sogenanntes Sicherungskonto gezahlt wurde, über das sie nicht verfügen durfte.

Das Schicksal Martha Liebermanns
Die Tochter Käthe floh wenige Tage nach der sogenannten Kristallnacht* am 9. und 10. November 1938 mit ihrer Familie nach New York, wo ihr Mann eine Professur antreten konnte. Martha war nicht zur Ausreise zu bewegen, da sie sich verpflichtet fühlte, in ihrer Heimatstadt beim Grab ihres Mannes und dessen Werken zu bleiben.
Ab 1941 bemühte sie sich dann doch um eine Ausreise und erhielt durch die Unterstützung von Freund*innen in der Schweiz und Schweden Einreisegenehmigungen für beide Länder. Die NS-Behörden stellten überhöhte Geldforderungen als sogenannte Reichsfluchtsteuer sowie unseriöse Bedingungen in der Geldübergabe. Dadurch und durch einen Schlaganfall, der Martha bettlägerig machte, scheiterte die Möglichkeit einer Flucht.
Um der drohenden Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt zu entgehen, nahm die 86-Jährige am 5. März 1943 eine Überdosis des Schlafmittels Veronal ein und wurde in das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding gebracht, wo sie am 10. März verstarb. Beigesetzt wurde sie, in Begleitung von Sieben Beerdigungsteilnehmer*innen, auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. 1954 wurde sie schließlich auf den Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee überführt und neben ihrem Mann beigesetzt.
2005 wurde am Pariser Platz ein Stolperstein für Martha gelegt.

Marthas Letzter Brief an den Freund Erich Alenfeld
Berlin, 4. März 1943
„Donnerstag,
Verehrter, lieber Herr Alenfeld,
ich bin ganz durcheinander! Die Bank hat nicht mal die kleine Summe gezahlt, ohne einen freundlichen Besuch wäre ich ohne Geld ! – Dazu macht man mir von allen Seiten Angst wegen Abtransport! Ich erwarte Sie sehnlich, Herr Dr. Landsberger sollte ja kommen!
Bitte, bitte Antwort
Ihre dankbare Martha L.“
Handschriftlicher Vermerk von Erich Alenfeld:
„abgeholt 5.III.43/morgens! Gift genommen!“

Provinienzforschung
Max Liebermann gehörte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten und meistgesammelten Künstlern Deutschlands. Seine Werke wurden von Museen in ganz Europa angekauft, regelmäßig auf dem Kunstmarkt angeboten und von Sammler*innen des gehobenen, progressiven Bildungsbürgertums der Weimarer Republik, welches stark vom Judentum geprägt war, gesammelt. Einer Schätzung zufolge waren 75 Prozent der Liebermann-Sammler*innen vor 1933 jüdischer Herkunft.
Nach 1933 galt Liebermann als verfemt, einige seiner Werke wurden, als „entartet“ eingestuft und wechselten vielfach ihre Standorte: Museen trennten sich in dieser Zeit von Werken jüdischer Künstler*innen. Verfolgten und Gegner*innen des NS-Regimes wurde ihr Besitz, darunter auch ihre Kunstsammlungen, entzogen. Viele mussten ihre Werke verkaufen, um ihr Überleben zu sichern, andere versuchten ihre Kunst ins Ausland zu retten.

So sind viele Objektbiografien von Liebermanns Werken noch heute fragmentarisch und von einer lückenhaften Quellenlage geprägt, wodurch sie immer wieder in den Fokus der Provenienzforschung geraten und Gegenstand von Restitutionen werden.
Die Villa am Wannsee wurde 1951 an Käthe Rietzler restituiert. Deren Enkelin Maria White verkaufte die Villa anschließend an das Land Berlin.
Einige wichtige Gemälde aus Liebermanns Kunstsammlung konnten 1933 durch Walter Feilchenfeldt, dem Geschäftsführer der Galerie Cassirer, im Kunsthaus Zürich in Sicherheit gebracht werden, dazu gehören Arbeiten von Degas, Cézanne, Daumier, Monet und Renoir. Andere Gemälde konnte Käthe Rietzler, ebenfalls mit Feilchenfeldts Unterstützung, mit nach New York nehmen.

Anmerkungen
Titelbild: Max Liebermann vor dem Gipsmodell seiner Büste von Edmund Möller. Undatiert, um 1932. Zugeordnet wird das Foto der Agentur Argusfot. Der*die Urheber*in ist jedoch unbekannt. Ein möglicher Fotograf ist Willi Ruge. Originalaufnahme im Archiv von ullstein bild. Recherchen zur Aufnahme sind im Rahmen der Ausstellung „Meeting Liebermann“ in der Liebermann-Villa entstanden.
Alle Zitate stammen aus der neun-Bändigen Briefedition, die von Ernst Volker Braun zusammengetragen, kommentiert und herausgegeben wurde. Ab 2021 im Deutschen Wissenschafts-Verlag erschienen.
* Durch seine zahlreichen antisemitischen Aussagen gilt Wilhelm von Bode als umstrittene historische Person. Auch das nach ihm benannte Museum setzt sich heute kritisch mit dem Namensgeber auseinander. Aussagen Liebermanns zu Bodes Antisemitismus sind nicht überliefert.
* Um die Bezeichnung der Ereignisse vom 9. auf den 10. November 1938 gibt es eine Jahrzehnte andauernde Debatte. In der Bezeichnung der Pogromnacht wird die staatliche Planung und Lenkung der Gewalt gegen Juden und Jüdinnen ausgeblendet. Für den Begriff „Kristallnacht“ spricht, dass dieser fest in der internationalen Erinnerungskultur und den Erzählungen Überlebender verankert ist. Die Täter*innen sprachen von der „Juden-Aktion“.
Im obenstehenden Text wird nicht einheitlich gegendert, wir schreiben von „Juden*Jüdinnen” sowie von „Künstler*innen”. Gegen die Verwendung der Schreibweise „Jüd*innen“ spricht, dass die Nationalsozialisten den Wortbestandteil „Jüd“ als diffamierenden Begriff einsetzen. Gleichzeitig wird darin das Wort „Jude“ unsichtbar, welches noch immer als Schimpfwort verwendet wird und zu dem viele Deutsche Nicht-Juden „Gojim” ein schambehaftete Beziehung haben.
Redaktion
Idee, Konzept und Gestaltung: Judith Rinklebe
Redaktion: Judith Rinklebe, Viktoria Bernadette Krieger, Evelyn Wöldicke und Antonia Fuchs.
Diese Online-Ausstellung ist Teil des Vermittlungsprojektes „Max Liebermann und das jüdische Leben in Berlin“ und wird 2024/ 2025 durch eine Förderung des Bundesbeauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus ermöglicht.