Chefsache, um „etwas außerordentliches und zweckvolles zusammenzubringen“
11.11.2021 von Dr. Stefan Körner
Über die Geschichte der Carl-Blechen-Sammlung der Stadt Cottbus
Die Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz beherbergt eine zentrale und bedeutende Carl-Blechen-Sammlung. Dank der großzügigen Leihgabe sind nun große Teile dieser Sammlung seit Oktober 2021 in der Ausstellung „Carl Blechen. Das Einfachste und daher Schwerste“ in der Liebermann-Villa zu sehen. Doch wie entstand überhaupt die Sammlung in Cottbus, was verbirgt sich hinter der wechselhaften Sammlungsgeschichte und auf was blickt die Cottbuser Sammlung heute? Davon berichtet Dr. Stefan Körner, Vorstand der Stiftung, auf unserem Blog.
Es flogen die Zahlen kreuz und quer, doch Oberbürgermeister Paul Werner wusste, was er wollte: Carl Blechen nach Hause holen und etwas Außerordentliches für Cottbus leisten. Werners Randnotizen im erhaltenen Auktionskatalog von 1913 berichten vom Kauf der ersten elf Werke des Landschaftsmalers, um für die Stadt eine Carl-Blechen-Sammlung zu begründen. Für Werner war Blechen „Chefsache“, denn zu lange war der „Meister der Landschaft“ in seiner Geburtsstadt vergessen gewesen.
Die neu entstehende Sammlung wurde zunächst 1913 im Sitzungssaal der Stadtverordneten im Alten Rathaus ausgestellt. Ein Nachlass finanzierte die ersten Ankäufe „für den Zweck der städtischen Sammlung von Werken Blechens und seiner Zeitgenossen“, weswegen bereits 1914 auch Gemälde von Johan Christian Clausen Dahl erworben werden konnten.
Ab 1916 engagierte sich der frisch gegründete Cottbuser Kunstverein regelmäßig in Sachen Blechen, so wurden Ausstellungen mit Leihgaben der Berliner Nationalgalerie organisiert. Letztere wurde in Zahl und Bedeutung nachfolgend von der wachsenden Cottbuser Sammlung als zweitgrößter Bestand von Blechen-Gemälden „eingeholt“, weil etwa Werke aus der berühmten Sammlung Brose nach Cottbus gelangten.
Verständiges Sammeln bis zur Moderne
Nach den 1927 zusammengefassten Sammlungsrichtlinien war Blechen „als seinem Herkommen nach Romantiker, seiner Entwicklung nach Impressionist“ einzuordnen, daher wurde in der Konzeption der Cottbuser Sammlung vom Leitstern Blechens der Bogen zu Künstlern der Gegenwart geschlagen. Es galt neben Dahl, Friedrich, Spitzweg und Menzel in gleichem Maße die Impressionisten Liebermann, Slevogt und Corinth aber auch die „nachimpressionistischen Künstler“ Grosz, Kollwitz, Pechstein, Heckel und Kokoschka zu sammeln, um „bei verständigem Sammeln auf diesem Gebiete etwas außerordentliches und zweckvolles zusammen[zu]bringen“. Diese Sammlungsidee war nicht revolutionär, jedoch modern und für Cottbus folgenreich, denn auch die anderen Oberbürgermeister in der Zeit der Weimarer Republik hielten sich bei Erwerbungen an sie. In dieser Glanzzeit der Sammlung öffnete 1929 eine permanente Ausstellung der Blechen-Werke im neuen Städtischen Museum, gleich neben dem Geburtshaus des Künstlers.
Besinnung auf Lausitzer Heimatmotive
Kurz darauf rissen jedoch die Ankäufe durch die Weltwirtschaftskrise und die Machtübernahme der Nationalsozialisten ab. Erst ab 1935 kamen wieder Kunstwerke in die städtische Sammlung. Angefacht von der Idee, in Cottbus ein Niederlausitzer Landesmuseum zu errichten, ließen die Oberbürgermeister Haltenhoff und von Baselli wieder sammeln, wobei auch sie immer das letzte Wort bei Ankäufen hatten. 1937 wurden alle 33 Cottbuser Blechen-Werke im Neuem Museum der Stadt in der Ausstellung Carl Blechen und Karl Friedrich Schinkel gezeigt, die schon auf ein verändertes Sammlungsprofil hindeutete: Vor dem ideologischen Hintergrund des NS-Staates und seiner Kunstpolitik wurden neben Werken Blechens und seiner Schüler nun vermehrt Lausitzer Heimatmotive gesammelt. Der moderne Ansatz aus der Anfangszeit wurde „in Richtung auf die frühe impressionistische deutsche Malerei, für die Blechen als Wegbereiter zu gelten hat [, eingegrenzt]. In diesem Zusammenhang finden allerdings die in der Mark Brandenburg wurzelnden Künstler wie Schinkel, Schirmer, Menzel u.a. Berücksichtigung“. Kein Wort mehr von Liebermann, keine Bezüge mehr zur Klassischen Moderne.
Blechen-Sammlung wird bis 1943 deutlich erweitert
Die Pläne eines eigenen Blechen-Museums als Landesgalerie machte der Kriegsbeginn zunichte, bis 1942 wurde jedoch die Sammlung aus Spenden der Bürgerschaft und der Industriellen erheblich erweitert – so durch Teile des schriftlichen Nachlasses Blechens, Käufe bei den Galeristen Luz, Gurlitt und Nicolai, Gemälde von Karl Hagemeister und Lovis Corinth oder durch bis heute ungeklärte Dauerleihgaben des Propagandaministeriums. Im Oktober 1942, unbeeindruckt vom Kriegsverlauf, veranstaltete Cottbus erfolgreich noch die bis dato größte Blechen-Ausstellung, einschließlich bedeutender Leihgaben aus damaligen Cottbuser Privatsammlungen, die kurz darauf im Rahmen des „Sonderauftrag Linz“ erworben wurden und sich heute als Leihgaben der Bundesrepublik Deutschland in der Neuen Pinakothek München und im Städel Frankfurt befinden. Mit der Auslagerung der Sammlung zum Schutz vor Bombenangriffen endete 1943 der Aufbau der Blechen-Sammlung der Stadt Cottbus.
Diebstahl und Zerstörung
Zum Kriegsende war die Schadensbilanz der Blechen-Bestände in Cottbus enorm: 13 Werke gestohlen, zehn Gemälde und Inventare zerstört; hinzu kamen mehr als 60 verlorene Arbeiten anderer Künstler, so dass fast ein Viertel der städtischen Sammlung als Kriegsverlust galt und teilweise bis heute gilt. Der greise Archivar der Stadt, Robert Kalwa, rettete mit der Evakuierung aus dem ebenfalls beschädigten Auslagerungsort im Handwagen den Bestand vor Schlimmerem, fand manch Verlorengeglaubtes wieder, doch das Museum der Stadt lag in Trümmern und die Blechen-Sammlung gelangte in die Obhut des Stadtarchivs.
Blechen bei Pückler
Als Ersatzstandort kam das enteignete Pückler-Schloss Branitz gelegen. Anlässlich des 150. Geburtstages Blechens, 1948, entstand dort eine Ausstellung mit Fotokopien und wenigen Originalen, was die ungebrochene Wertschätzung für den Künstler bedeutete – über alle Ideologien und Zeiten hinweg.
Das nunmehrige Stadtmuseum im Schloss Branitz ließ nachfolgend Blechen-Gemälde in der Berliner Nationalgalerie restaurieren und ab 1955 in den ehemaligen fürstlichen Salons kontinuierlich ausstellen. Ab den 1960er-Jahren begann dann wieder, wenn auch zaghaft, eine Erweiterung der Sammlung, meist durch Schenkungen von alten Cottbuser Familien. Bezüge zur 1927 gelegten Sammlungskonzeption wurden auch in der jungen DDR nicht mehr aufgenommen. Die Kuratoren beschränkten sich bei den Retrospektiven 1960 und 1963 sowie 1990 vielmehr auf das gesamte künstlerische Schaffen Blechens mit Schwerpunkt auf die Landschaftsmalerei.
Zwei Meister der Landschaft
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde der Bestand der 1913 gegründeten städtischen Kunstsammlung zum Zankapfel: Im musealen Disput zwischen Stadtmuseum und der neuen Kunstsammlung im Dieselkraftwerk wurde letztlich von Oberbürgermeister entschieden, die Sammlung in die Obhut des 1995 gegründeten Fürst-Pückler-Museums in Branitz zu geben, wo Blechen mit dem anderen Cottbuser „Meister der Landschaft“, dem Fürsten Pückler, seitdem einen sinnvollen und inspirierenden Schwerpunkt der Ausstellungs- und Forschungsarbeit ausmacht.
Comebacks
Die städtische Cottbuser Sammlung wächst seitdem kontinuierlich: Seit 1995 kamen weiter 14 Arbeiten Carl Blechens hinzu, der Bestand wurde auf verfolgungsbedingte Provenienzen untersucht. Vier Leihgaben der Bundesrepublik und eine der Ernst von Siemens Kulturstiftung, wie das Selbstporträt aus ehemaligem Familienbesitz, bereicherten die ständige Ausstellung.
Bedeutsam war auch die Rückkehr von Kriegsverlusten 2020 und 2021: die Apennin-Studie Blechens vom „Flohmarkt“ und ein Gemälde von Dahl aus der Hamburger Kunsthalle. Diese Werke wurden ursprünglich 1913 und 1914 erworben, als die städtische Sammlung als „Chefsache“ ihren Anfang nahm und bereichern nun nach über 75 Jahren des Verlorengeglaubtseins wieder die Sammlung.
110 Jahre nach Sammlungsgründung: Ein Ausblick
Ab 2022 werden die Werke Blechens mit Spitzenwerken seiner Schüler aber auch Beispielen der „impressionistischen Nachfolger“, wie Liebermann, Hagemeister und Corinth, in den Fürstenzimmern des Schlosses Branitz präsentiert. 110 Jahre nach Gründung kann die heute fast 300 Werke umfassende Carl-Blechen-Sammlung mit ihrem bemerkenswerten Profil, der wechselhaften Geschichte und mit ihrer hohen Bedeutung weiterhin „etwas außerordentliches und zweckvolles“ für die Stadt Cottbus und von Branitz aus Inspirierendes für die Kunstgeschichte leisten.