Italienische Reminiszenzen am Wannsee
06.8.2024 von Sabrina Flörke, Kunstpädagogin und Doktorandin am DFG-Graduiertenkolleg Kulturelle und Technische Werte historischer Bauten der BTU Cottbus-Senftenberg
Italien war im 19. Jahrhundert ein besonders beliebter Aufenthaltsort. Auch am Wannsee fanden Anwesen ihre Vorbilder in dem südeuropäischen Land. Als Max Liebermann sein „Schloss am Wannsee“ 1910 bezog, galt die große Zeit der Italiensehnsucht bereits abgeklungen. Seine Villa scheint demnach nicht viel mit der Italiensehnsucht gemein zu haben. Oder doch? Im Rahmen des letzten Terrassengesprächs zur Ausstellung „Auf nach Italien! Mit Liebermann in Venedig, Florenz und Rom“ hat Sabrina Flörke ihre Recherchen zur Villen- und Gartenarchitektur sowie zu den sozialgeschichtlichen Hintergründen der großbürgerlichen Lebenswelten in Berlin-Wannsee präsentiert und dabei den Fokus auf die italienischen Spuren am Wannsee gelegt.
Max Liebermanns Begegnungen mit Italien am Wannsee äußerten sich für ihn nicht nur in der eigenen künstlerischen Tätigkeit, wie beispielsweise der Gestaltung seiner Gartenloggia, sondern manifestierten sich auch in der Architektur und Gartengestaltung der umgebenden Nachbarvillen sowie im Austausch mit den Wannseer*innen vor Ort. Mit dem Erwerb des Wannseegrundstücks und dem Bau seiner Villa 1909/1910 tauchte der Maler in eine Sommerfrische ein, die in nicht unerheblichem Maße von der italienischen Kultur und der Sehnsucht nach Italien geprägt war.
Die Ansiedlung von Sommervillen vollzog sich am Wannsee bereits ab 1870. Der Berliner Bankier Wilhelm Conrad (1822–1899) gründete die Villencolonie Alsen für einen elitären Kreis großbürgerlicher Familien mit dem Wunsch, die Sommerfrische gemeinsam vor den Toren Berlins zu verbringen. Zu jener Zeit orientierte sich der Villenbau stark an den Vorbildern der Potsdamer Turmvillen und den im königlichen Kontext entstandenen Schlössern und Gärten – die wiederum ihre Vorbilder in der italienischen Renaissancevilla sowie der ländlich vor allem in der Toskana zu verortenden Fabbrica finden. Letztere ist geprägt durch eine additive Bauweise unterschiedlicher Bauvolumen, flachen Sattel- und Pultdächern sowie einer schlichten Fassadengestaltung. Liebermann fand dementsprechend in seiner näheren Nachbarschaft Villen vor mit Campanile-Türmen, ausgestalteten Loggien, Säulenstellungen und mediterran angelegten Gärten.
Zu einem Nachbarn mit starken Bezügen zu Italien unterhielt Liebermann eine besondere Verbindung: dem Unternehmer Eduard Arnhold (1849–1925). Er hatte bereits vor Liebermann 1885 eine Villa am Wannsee erworben und entwickelte die italienisch anmutende Architektur weiter zu einem Anwesen, das einer toskanischen Villenanlage nahekommt.
Die Uferpromenade wurde durch den Architekten Otto Stahn (1859–1930) mit mediterraner Anmut umgestaltet. Selbst Nebengebäude wie Stallungen erhielten Rundbogenfenster und Turm. Liebermanns freundschaftliche Beziehung zu dem als Mäzen agierenden Arnhold war ein ebenso wichtiger wie sichtbarer Berührungspunkt mit dem südeuropäischen Land. Arnhold hatte in Rom 1913 die deutsche Akademie Villa Massimo gegründet und in Fiesole 1901 die Villa von Arnold Böcklin übernommen. Am Wannsee realisierte er seinen Sommersitz nach italienischem Vorbild und schuf als Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Künste einen bedeutenden Ort des Austauschs mit Künstlern wie Liebermann und Louis Tuaillon (1862–1919).
Zu jener Zeit wiesen die Biografien der Wannseer Künstler wie Oskar Begas (1828–1883), Karl Becker (1820–1900) und Hugo Vogel (1855–1934) und Architekten wie Hermann Ende (1829–1907), Adolph Heyden (1838–1902) und Hermann Muthesius (1861–1927), allesamt längere Italienaufenthalte vor, die das eigene berufliche Schaffen aber auch das Gestalten der privaten Rückzugsorte beeinflusste. Inwieweit der Austausch über Italien auch Liebermann für die Gestaltung seines Anwesens am Wannsee beeinflusste, ist noch nicht vollends geklärt. Sicher ist, dass Liebermann für die Ausgestaltung seiner Loggia ebenfalls von einer Reise nach Italien inspiriert wurde und diese Erfahrungen mit Besuchenden seiner Sommervilla vermutlich auch teilen wollte. 1911 hatte er in der Villa der Livia bei Rom die berühmten antiken Fresken eines nahezu idyllischen Gartens darstellend gesehen und diese mit für ihn wichtigen Änderungen auf den Wänden seiner Loggia am Wannsee übertragen (Abb. 2). Liebermanns Wandmalereien sind ein eindeutiger Beweis dafür, wie trotz aller Ambivalenz zu Italien, die italienische Antike nachwirkte. Ambivalent war auch das Verhältnis von seinem Schwager Martin Liebermann (1838–1900) zu Italien. Er hatte bereits 1885 ein kleines italienisch gestaltetes Wohngebäude in der Kolonie erworben und noch vor Einzug umgestalten lassen.
Darüber hinaus gab es Villenbesitzer wie der venezianische Graf Demetrius von Minotto (1856–1920), der mit seiner Frau Agnes Sorma (1862–1927) in einem äußerlich schlichten Wohnhaus eine ganze venezianische Welt an Möbeln und Inventar verbarg, die sogar in der Berliner illustrierten Zeitschrift „Die Woche“ abgebildet wurden.
Der Maler Hugo Vogel (1885–1934), ebenfalls am Großen Wannsee ansässig, zeigte mit seinem Thermenfenster nach Vorbild der römischen Villa Torlonia, dem venezianischen Brunnen und den steinernen Balustraden in Anlehnung an Frascati seine ganz persönlichen Reminiszenzen an das geliebte südeuropäische Land.
Italien war somit am Wannsee weithin in der Architektur und Gartengestaltung sichtbar und aufgrund der beruflichen und privaten Reisetätigkeit der Wannseer*innen auch ein bedeutender Teil des dortigen kulturellen und akademischen Austauschs. Belege hierfür finden sich zum einen in den zeitgenössischen Fachzeitschriften wie dem Centralblatt der Bauverwaltung, wo regelmäßig Reiseeindrücke und -erlebnisse von Bauschaffenden abgedruckt wurden und auch Wannseer Architekten wie Hermann Muthesius vertreten waren. Zum anderen zeugen auch die Lebenserinnerungen vieler Wannseer Familien von der Reisetätigkeit und dem salonartigen Miteinander, nachzulesen beispielsweise in den Lebenserinnerungen von Otto Stahn, Walter Kyllmann (1837–1913) oder den Tagebüchern von Hedwig Pringsheim (1883–1980).
Weiterführende Literatur
Georg Brasch, Das Wannseebuch, Wannsee 1926, Unveränderter Nachdruck des Originals, Berlin 2010.
Wolfgang Brönner / Jürgen Strauss, Bürgerliche Villen in Potsdam, Potsdam 2000.
Sabrina Flörke, Die Entwicklung der Colonie Alsen und die Künstlerhäuser unter den Sommerhäusern, in: Miriam Esther Owesle (Hrsg.): Sehnsucht nach Idylle. Max Liebermann und die Maler am Wannsee, Ausst.-Kat. Liebermann-Villa am Wannsee Berlin 2019–2020, S. 15–29.
Sabrina Flörke, Orte der Sehnsucht – Der Einfluss Italiens auf die Berliner Sommerfrische am Wannsee, in: Alexandry Druzynski von Boetticher/ Anke Wunderwald/ Peter I. Schneider (Hrsg.): Von der Kunst ein Bauwerk zu verstehen, Oppenheim am Rhein 2020, S. 27-34.
Tilmann Johannes Heinisch/Horst Schumacher, Colonie Alsen – Ein Platz zwischen Berlin und Potsdam, Berlin 1988.
Walter Kyllmann, Lebenserinnerungen von Walter Kyllmann, unveröffentlichtes Manuskript, Wannsee 1906.
Hedwig Pringsheim, Tagebücher, herausgegeben in mehreren Bänden von Christina Herbst, Göttingen 2013–2021.
Otto Stahn, Lebenserinnerungen, unveröffentlichtes Manuskript, Wannsee o.J..