Küste in Sicht! Max Liebermann in Noordwijk
27.6.2022 von Viktoria Bernadette Krieger
Neue Ausstellung in der Liebermann-Villa
Fließendes Licht, Wolken, weite Sandstrände und eine frische Brise. Das macht für uns Küstengefühl aus! Mit unserer neuen Ausstellung „Küste in Sicht! Max Liebermann in Noordwijk“ bringen wir des Malers Küstenbilder an den Wannsee – eintauchen und mit Max Liebermann ans Meer reisen! Auf dem Blog gibt die kuratorische Assistentin und wissenschaftliche Volontärin Viktoria Bernadette Krieger Einblicke in das sommerliche Thema.
Von 1905 bis 1913 verbrachte der Maler Max Liebermann (1847–1935) jedes Jahr aufs Neue die Sommermonate in Noordwijk, einem idyllischen Fischerdorf an der Nordseeküste zwischen Den Haag und Amsterdam. Allerdings mit einer Ausnahme – dem Jahr 1910, als seine Villa am Wannsee fertiggestellt wurde. In unserer neuen Sommerausstellung versammeln wir erstmals eine Auswahl von Liebermanns Noordwijk-Bildern. Darunter finden sich bei Wind und Wetter spielende Kinder im Sand zwischen Strandkörben, Reiter in der Brandung, Badewächter mit Pferd, Muschelfischer, badende Knaben und Badekarren mit welchem damals sogar den Damen möglich wurde, geschützt vor neugierigen Blicken, im kühlen Nass Erfrischung zu finden. Die ausgestellten Werke stammen fast alle aus Privatbesitz und sind einige der weniger bekannten Zeugnisse aus Liebermanns Zeit in Holland. Zunächst auf der Suche nach der Ursprünglichkeit des Dorflebens, widmete sich Max Liebermann nach und nach dem fröhlichen Treiben am Strand. Als seine letzten holländischen Bilder markieren diese einen Wendepunkt: mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte Liebermann nie wieder nach Holland zurück. Der Maler verbrachte von da an die Sommermonate mit seiner Familie am Wannsee.
1905 zählte Max Liebermann zu den bekanntesten und erfolgreichsten Künstlern Deutschlands. Keine Überraschung also, dass er auch in Noordwijk von Fotografen und Journalisten besucht wurde. Ein besonders ausführlicher Bericht über Liebermanns Arbeit in Noordwijk erschien im Dezember 1912 im Berliner Tageblatt. Der Journalist Harry David hat den Maler offensichtlich einige Tage im Küstenort begleitet. Sein Artikel beschreibt in wunderbaren Ausführungen wie die Noordwijk-Bilder entstanden waren und wie sie auf ihre damaligen Betrachterinnen wirkten.
Unter anderem lesen wir in Davids Bericht, wie Liebermann seine zarten Pastelle schuf, trotz widriger Umstände. Er schreibt: „An einem kalten, regnerischen Nachmittage kletterte [Liebermann] in einen Badekarren, zog Skizzenbuch und Pastellkasten hervor und schuf in diesem wenig konfortabelen [sic!] Atelier einige seiner entzückenden kleinen Pastellskizzen: grünliches Meer mit regengrauem Himmel und den feinen, so lebendigen Figuren im Hintergrund.“ David war offensichtlich tief beeindruckt von den Ergebnissen, wie er weiter ausführt: „Ganz eigenartig ist die Verwendung des weichen, breistrichigen [sic!] Pastellmaterials zu Skizzen von so kleinem Format. Das ergibt aber nicht nur Weichheit, sondern zuweilen eine Tiefe und Fülle des Tones, die kaum von der Oelfarbe übertroffen wird. Und geradezu überraschend ist es, daß er auf solchen Blättchen mit diesem trockenen Kreidestaub auch das helle Sonnenlicht zu geben weiß. Sollte hier die Technik nicht der dunstigen Atmosphäre Hollands entspringen.“
Auch beim Malen seiner Gemälde im Freien ließ sich Liebermann vom stürmischen Wetter nicht stören. Wie Harry David einen seiner Malaufenthalt am Strand beschreibt: „Nach 1 Uhr wurde der Seewind heftiger und ich mußte die Staffelei mit beiden Händen festhalten, damit der Meister [Liebermann] noch die letzten Striche hinsetzen konnte. In knapp dreieinhalb Stunden war die ganze Arbeit fix und fertig […]. Die nasse Leinwand wurde einstweilen bei einem alten Bäuerlein untergestellt, der sie sorgfältig in seine blitzsaubere ‚Huiskamer‘ [Wohnstube] trug.“
Der Sommer im Jahr 1912 muss besonders verregnet und stürmisch gewesen sein, so erläutert Harry David weiter: „Weht der Wind zu stark oder ist das Wetter trübe, so werden kleine Entdeckungswanderungen unternommen. Aber auch das ist ununterbrochene Arbeit. Oft bleibt [Liebermann] stehen und mißt an einem vorgehaltenen Bleistift die landschaftlichen Proportionen oder er prägt sich Farbenkontraste ein: er lernt eben die Welt auswendig.“
Der Maler widmete sich in den Tagen, als Harry David zu Besuch war, bildnerisch auch dem Markttreiben in Noordwijk. Die alte Markttradition, auf dem von Linden gesäumten Platz im Dorf, dem Lindenplein, hat sich bis heute erhalten und nach wie vor findet dort ein Gartenmarkt statt. Auch hier am Lindenplein konnte Liebermann produktiv arbeiten, wie David schreibt: „[Liebermanns] wirkliche Arbeitsstätte bleibt die freie Natur, und zwar ebensogut die stille Düne und der einsame Feldweg wie die belebte Strandterrasse oder eine Straße von Noordwijk […] selbst mitten im Trubel einer holländischen Kirmes. Auch in solchem Getriebe genügt er sich keineswegs immer mit schnellen Skizzen und kleinen Vorstudien, oft genug taucht in der Menge sein Panamahut vor einer Leinwand von ganz respektabler Größe auf. In einer knappen Stunde wird dann hier eine bunte Menschenmasse in ihren Bewegungsakzenten gefaßt und zusammengehalten, wie es in allmählicher Arbeit durch einige Skizzen nie erreicht werden könnte. Liebermann wundert sich heute selbst, daß ihn die umstehende und gaffende Menge dabei gar nicht mehr geniert. Wer ihn aber bei einer solchen Arbeit beobachtet, wer gesehen hat, wie sein Gesicht mit halb zugekniffenen Augen und der in Erregung eingezogenen Unterlippe den Ausdruck höchster geistiger Spannung annimmt, der begreift, daß bei solcher Gedankenkonzentration die Außenwelt versinken muß.“
Unsere Ausstellung „Küste in Sicht!“ steht unter der Schirmherrschaft des Königreichs der Niederlande und entstand in Kooperation mit der Max Liebermann Stichting in Noordwijk. Gerne möchten wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich für das stete Engagement und den gewinnbringenden Austausch bedanken. Die Noordwijker Stiftung setzte sich dafür ein, dass 2018 die Max Liebermann Route eröffnet werden konnte. In Form einer Freiluftausstellung sind 24 im Ort verteilte Bildtafeln zu entdecken mit Informationen zu dem Berliner Maler und seinen Gemälden, die er im Küstenort schuf. So können die damaligen Schauplätze des Malers mit der heutigen Situation vor Ort verglichen werden. Auf nach Noordwijk!
Die zitierten Auszüge stammen aus: Harry David: „Mit Max Liebermann in Noordwijk aan Zee“, in: Berliner Tageblatt, Abend-Ausgabe, Nr. 650, 41. Jahrgang, 21. Dezember 1912