Unbekannt, Portrait von Laelia Goehr, © Nachlass Laelia Goehr

Laelia Goehr (1908-2002)

10.9.2021 von John March

Über das Leben und Werk der Fotografin Laelia Goehr

Im Rahmen der Ausstellung „Gerty Simon. Berlin / London. Eine Fotografin im Exil“ ruft die Liebermann-Villa eine fünfteilige Blogreihe ins Leben, welche fünf verschiedene Künstlerinnen vorstellt, die zu Zeiten des Nationalsozialismus aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Im vierten Teil blickt John March, Fotohistoriker, auf das Leben und Werk der Fotografin.

Die schreckliche Geschichte hinter Gerty Simons wiederentdecktem Werk, welches in der aktuellen Ausstellung der Liebermann-Villa gezeigt wird, erinnert in ihren Grundzügen an das gesamte fotografische Talent, welches in den 1930er Jahren aus Deutschland und Österreich hinaus und ins Exil gezwungen wurde. Noch bis vor kurzem verblieb die Arbeit und das Leben vieler geflüchteter Fotografinnen, die sich in Großbritannien niedergelassen haben, verborgen. Eine kürzlich in London stattfindende Ausstellung belebt biografische Exilnarrative wieder und zeigt fotografische Arbeiten neu, legt persönliche und berufliche Geschichten frei und feiert nicht nur das Werk der bekannteren Fotografinnen, sondern auch derjenigen, die wie Gerty Simon aus dem öffentlichen Blickfeld für lange Zeit verschwunden waren.

 

Unbekannt, Portrait von Laelia Goehr, © Nachlass Laelia Goehr

Unbekannt, Portrait von Laelia Goehr, © Nachlass Laelia Goehr

Die Geschichten der zwanzig im deutschsprachigen Raum aufgewachsenen und später in England (hauptsächlich London) niedergelassenen Fotografinnen zeichnen ein komplexes Geflecht von Zwangsmigration unter unterschiedlichsten Umständen, zerrütteten Familien- und Berufsleben und dem Prozess des Neuanfangs in einem neuen Land. Einige der bekannteren Fotografinnen wie Edith Tudor-Hart, Gerti Deutsch und Lucia Moholy führten ihre frühe Auseinandersetzung mit der Fotografie in einem neuen Umfeld fort. Porträtistinnen wie Gerty Simon mit öffentlicher Bekanntheit in Berlin und Wien – man denke hier auch an Lotte Jacobi und Lotte Meitner-Graf – haben ihre Karrieren in New York bzw. London neu etabliert. Für andere war die Fotografie ein Beruf zweiter Wahl, nachdem ihre Hauptkarriere durch die Diskriminierung der Nazis beendet wurde. Einige junge Flüchtlingsfrauen in Großbritannien begannen erst nach ihrem Exil eine sehr erfolgreiche Karriere in der Fotografie.

Zusammengenommen bietet die Arbeit dieser Fotografinnen einen einzigartigen Einblick in die Art und Weise, wie kontinentale Fortschritte der Fotografie in Theorie und Praxis in eine konservativere britische Bildkultur integriert wurden. Die Vielfalt der Genres, in denen sie arbeiteten – Porträts, Sozialdokumentation und dem kommerziellen Bereich – erzeugten auch Bilder, die sowohl für das Deutschland der Weimarer Zeit (und Österreich) als auch für das Großbritannien der Kriegs- und Nachkriegszeit resonant waren.

Laelia Goehr, Straßenfotografie, © Nachlass Laelia Goehr

Eine wenig bekannte fotografische und kulturelle Persönlichkeit, die sowohl den Geist des Weimarer Berlins als auch des Großbritanniens der Nachkriegszeit verkörperte, ist Laelia Goehr. Die gebürtige Kiewerin kam 1919 mit ihrer Familie als Schülerin nach Berlin, um dem Chaos und den Gefahren der russischen Revolution zu entfliehen. Aufbauend auf ihrer klassischen Ausbildung als Pianistin schrieb sie sich an der Hochschule für Musik ein, die sie 1929 schließlich abschloss. Parallel zu ihrer klassischen Musikausbildung startete sie mit Rosa Goldstein, einer weiteren talentierten, jungen Musikerin, eine erfolgreiche Karriere im Kabarett. Als „Lil and Peggy Stone“ oder „The Stone Sisters“ auf Tournee, spielten und sangen sie amerikanische Popsongs, Ragtime und Dance Music und erlebten eine blühende Karriere, die ihnen regelmäßige Arbeit in den vielen Kabarettlokalen in Berlin und anderen großen Städten Europas einbrachte.

Laelia Goehr, Margot Fonteyn und Rudolf Nureyev, © Nachlass Laelia Goehr

1930 traf und heiratete Laelia Walter Goehr, einen etablierten Berliner Musiker mit herausragenden Rollen als Komponist, Dirigent und Arrangeur in klassischen und populären Genres. Seine Arbeit bei Radio Berlin und die Anstellung als Komponist und Dirigent in der Theatergruppe von Erwin Piscator, in der auch Laelia spielte, sowie seine jüdische Herkunft machten ihn nach der Machtübernahme der Nazis zu einem gefährdeten Mann. Faktisch arbeitslos nahm er ein Jobangebot in London an und gemeinsam mit ihm begann Laelia ihre zweite Exilerfahrung.

Laelia Goehr, Bill Brandt with his Kodak Wide-Angle Camera, © Nachlass Laelia Goehr

 

Mit einem langjährigen Interesse an der Fotografie begann Laelia schließlich, sich jenem Medium zu widmen. Sie fertigte zunächst Porträts von Soldaten aus Kriegszeiten an und unter der Mentorschaft von Bill Brandt entwickelte sich daraus eine erfolgreiche Karriere. Ihre Arbeit, die auch massenhaft in den illustrierten Zeitschriften jener Zeit veröffentlicht wurde, umfasste verschiedene Genres, darunter Porträts, Tier- und Pflanzenabbildungen und das Fotografieren von Musikern bei der Arbeit. Zudem arbeitete sie mit bedeutenden Schriftstellern an Fachbüchern über Tiere und veröffentlichte am Ende ihres Berufslebens auch Bücher über ihre Fotografien von Musikern. 1965 fotografierte Laelia den Komponisten Igor Strawinsky während der Proben in der Royal Festival Hall in London bei seinem letzten Besuch in Großbritannien. Ihre Fotografien wurden später in einer Reihe von Städten ausgestellt, darunter in Los Angeles in einer Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstags von Strawinsky (1968) und im Victoria and Albert Museum, London (1982), wo der begleitende Katalog als Strawinsky Rehearses Stravinsky veröffentlicht wurde. Ihr Buch Musicians in Camera (1987) mit einem Vorwort von Sir Yehudi Menuhin enthält 77 Fotografien führender Weltgrößen der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts.

Laelia Goehr, Sir Yehudi Menuhin, © Nachlass Laelia Goehr

Dieses kurze Porträt zeichnet ein Leben und eine Karriere auf, die fast vergessen waren, hätte die Enkelin Goehrs sich nicht darum bemüht, eine Website ins Leben zu rufen, welche jetzt den Namen ihrer Großmutter trägt. Die dort vorhandene biografische Erzählung und die begleitenden Bilder verweisen auf ein Leben voller kreativer Fluidität und Unternehmungslust – klassische und populäre Musik, Schwerpunktverlagerung vom Musikmachen auf die Fotografie und schließlich die Produktion von Fotografen für die breite Masse sowie für etwaige Fachbücher– in den unterschiedlichen Schauplätzen Kiew, Berlin und London.

Die Karriere von Laelia Goehr war nicht unbedingt außergewöhnlich in dem Sinne, dass sie zu den großen Fotografinnen der damaligen Zeit zählen würde, von denen es so einige gab. Sie ist jedoch eine von den vielen außergewöhnlichen Frauen, wie Gerty Simon, die es trotz der Verfolgung und der Vertreibung geschafft hat, im Exil ein kreatives Leben zu führen, welches eine Zeitlang auch die Fotografie umfasste.