Das Blatt zeigt acht Skizzen eines Dackels in verschiedenen Liegepositionen.
Max Liebermann, Teckelstudien, 1909, © Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe

Max Liebermanns „Teckelstudien“

14.4.2021 von Denise Handte

Ein Stempel führt zur Sammlung Heinrich Stinnes

Zum 3. Tag der Provenienzforschung fragt Denise Handte, Provenienzforscherin an der Liebermann-Villa, nach der Herkunft der Druckgrafik „Teckelstudien“ von Max Liebermann. Das Blatt ist Teil unseres vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten einjährigen Projekts zur Provenienzforschung. 73 Werke der Max-Liebermann-Gesellschaft werden auf ihre Provenienz untersucht, um NS-verfolgungsbedingte Entziehungen auszuschließen und an fairen und gerechten Lösungen mitwirken zu können.

Liebermann und seine Dackel

„Wat wollen Se denn eijentlich von mir“ fragt Max Liebermann (1847-1935) den Journalisten Géza von Cziffra (1900-1989), der den Künstler 1927 anlässlich seines 80. Geburtstags in seiner Villa am Wannsee besucht. Das Gespräch läuft schleppend an, denn Liebermann gibt nur ungern Interviews. Doch dann erscheint ein Dackel in der Tür und nähert sich von Cziffra freundlich, um einige Minuten später zufrieden im Schoß des Journalisten zu landen. Da sagt Liebermann: „Wenn mein Hund so freundlich zu Ihnen ist, muß ich es wohl auch sein und Ihnen was erzählen.“

Max Liebermanns Liebe zu seinen drei Dackeln Männe, Michel und Nicki wird nicht nur in dieser Erinnerung sichtbar – sie ist auch immer wieder Gegenstand in seinen Kunstwerken. So auch in der Lithografie „Teckelstudien“ aus dem Jahr 1909, die 2013 als Schenkung aus einem Nachlass in den Bestand der Max-Liebermann-Gesellschaft, dem Trägerverein der Liebermann-Villa, gelangte.

Das Blatt zeigt acht Skizzen eines Dackels in verschiedenen Liegepositionen.

Max Liebermann, Teckelstudien, 1909, © Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe

Das Blatt zeigt acht Skizzen, die der Künstler von seinem Hund anfertigte. Zwei der acht Skizzen sind nicht komplett ausgeführt und wurden von Liebermann nur angedeutet, doch ist klar zu erkennen, wie der Dackel in verschiedenen Posen gemütlich auf dem Boden liegt, sich wälzt und döst. Die skizzierten Hunde, zunächst Zeichnungen, wurden als Lithografie umgesetzt.

Interessant ist, dass dann Korrekturangaben auf der gedruckten Lithografie vorgenommen wurden, vermutlich vom Künstler selbst: Innerhalb des Hundes unten links findet sich die handschriftliche Anmerkung „Diese wegkratzen“  und unter der Skizze in der zweiten Reihe ganz rechts heißt es „diese umdrehen“. Die Korrekturen lassen darauf schließen, dass es sich bei dem Werk um eine frühe Version handelt, mit der Liebermann noch nicht ganz zufrieden war. Wir befinden uns mitten im druckgrafischen Prozess, in dem der Künstler wohl nachträglich Korrekturen am Lithografiestein vornehmen ließ, um dann erneut zu drucken.

Wofür steht „ST-K“?

So interessant die Vorderseiten von Kunstwerken sind, widmen sich Provenienzforscher*innen besonders gerne ihren Rückseiten, um dort eventuelle Hinweise auf Vorbesitzer*innen finden zu können. Dabei kann es sich beispielsweise um Sammler*innenstempel, Zollstempel, handschriftliche Anmerkungen oder Label von Auktionshäusern, Galerien oder Kunsthandlungen handeln, die eine weitere Station des Objekts belegen. Da wir im Rahmen des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts nachvollziehen möchten, welche Wege 73 Werke genommen haben, bevor sie in den Sammlungsbestand der Max-Liebermann-Gesellschaft gelangten, war es besonders wichtig, zunächst genaue Untersuchungen am Blatt selbst vorzunehmen.

Auf der Rückseite der „Teckelstudien“ findet sich ein blauer Stempel mit den Buchstaben „ST-K“. Auskünfte zur Herkunft des Stempels finden wir in der sogenannten Lugt-Datenbank. Diese Online-Datenbank macht Eigentumsvermerke an künstlerischen Drucke und Papierarbeiten recherchierbar und bezieht ihre Informationen aus dem 1921 erschienen Hauptwerk des niederländischen Kunsthistorikers und Kunstsammlers Frits Lugt (1884-1970), „Les Marques des Collections des Dessins et d’Estampes“. Hier finden wir den Hinweis: Der Stempel wird mit der Sammlung Heinrich Stinnes in Köln in Verbindung gebracht.

Der Sammler Heinrich Stinnes

Heinrich Stinnes (1887-1932) entstammte einer einflussreichen und wohlhabenden Industriellenfamilie, die ihren Firmensitz in Mülheim an der Ruhr hatte. 1910 begann er eine eigene Kunstsammlung aufzubauen, die sich auf neuzeitliche Grafik von 1825 bis in die Gegenwart konzentrierte. Der Kunsthistoriker Karl Schwarz erinnert sich: „[Stinnes] hatte überhaupt die größte Privatsammlung zeitgenössischer Graphiker und legte es darauf an, manche von ihnen komplett zu besitzen. Man konnte eigentlich nicht über moderne Graphik arbeiten, ohne die Sammlung Stinnes zu kennen.“

Schwarz besuchte Stinnes in Köln: „Wir gingen in den Souterrain, und dort waren in kahlen Räumen, die rundum mit hohen Wandschränken versehen waren, die Kunstschätze aufgestapelt. Alles fein säuberlich in Passepartouts mit genauen Aufschriften und in Kisten verteilt. Hier nun wurde der wortkarge Mann gesprächig und entwickelte eine genaue Kenntnis der graphischen Künste.“

Bis zu seinem Tod im Jahr 1932 soll Stinnes’ Sammlung ganze 200.000 Werke umfasst haben. Nach seinem Tod wurde sie durch seine Erb*innen, teils unmittelbar, teils erst in der Nachkriegszeit, in verschiedenen Auktionen verkauft.

Der Lugt-Datenbank zufolge wurde ein Teil des Stinnes-Nachlasses im Jahr 1938 durch die Berner Kunsthandlung August Klipstein versteigert. Dabei wurde der Stempel „ST-K“ auf allen Liebermann-Blättern angebracht, die aus der Sammlung Stinnes zum Verkauf eingeliefert wurden. Das „ST“ steht also für „Stinnes“, das „K“ für Klipstein. Das Blatt „Teckelstudien“ ist im entsprechenden Auktionskatalog allerdings nicht zu finden.

Ausblick

Wann genau wurde unsere Lithografie bei Klipstein eingeliefert? Warum ist sie nicht im Auktionskatalog nachzuvollziehen? Wurde das Blatt überhaupt auf einer Auktion angeboten?

Diese Fragen führen uns zur Galerie Kornfeld in Bern, die das Archiv von August Klipstein verwahrt. Eine Nachfrage ergab, dass Klipstein das Liebermann-Konvolut im Jahr 1938 aus dem Nachlass Stinnes erwarb und die Blätter mit dem uns bekannten “ST-K” Stempel versah. Doch nicht alle Werke wurden unmittelbar in Auktionen verkauft. Unsere “Teckelstudie” befand sich von 1938 bis 1947 im Lager von Klipstein, bis es 1947 schließlich an den Zürcher Kunstsammler Sigmund Pollag (1888–1977) verkauft wurde.

Die für uns wichtige Provenienzlücke von 1933 bis 1945 konnte somit geschlossen werden. Nach aktuellem Stand wurden weder Heinrich Stinnes, der bereits 1932 verstarb, oder seine Erb*innen durch die Nationalsozialisten verfolgt. Der Verkauf der Kunstsammlung durch seine Erb*innen erfolgte freiwillig, womit ein NS-verfolgungsbedingter Entzug auszuschließen ist.

Recherchestand: April 2021

Denise Handte ist seit 2020 Provenienzforscherin an der Liebermann-Villa. Mehr über ihre Arbeit und das Werk erfahren Sie auch in unserem neuen Video.