Milein Cosman (1921-2017)
15.9.2021 von Ines Schlenker
Zum Leben und Werk der Künstlerin Milein Cosman.
Im Rahmen der Ausstellung „Gerty Simon. Berlin / London. Eine Fotografin im Exil“ ruft die Liebermann-Villa eine fünfteilige Blogreihe ins Leben, welche fünf verschiedene Künstlerinnen vorstellt, die zu Zeiten des Nationalsozialismus aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Im fünften und letzten Teil blickt Kunsthistorikerin Ines Schlenker auf das Leben und Werk der Künstlerin Milein Cosman.
Gerty Simon und Milein Cosman gehörten verschiedenen Generationen der deutschen Emigration an, und leider ist nicht bekannt, ob sie sich im englischen Exil jemals begegneten. Die beiden Künstlerinnen verband jedoch eine lebenslange Faszination für das menschliche Antlitz. In einem über 70 Jahre währenden Arbeitsleben schuf Cosman ein Oeuvre, das tausende gemalte, gedruckte und vor allem gezeichnete Porträts umfasst. Stets mit Skizzenblock und Bleistift ausgestattet, hielt Cosman – unendlich neugierig – unermüdlich Gesichter fest, die sie interessant fand. Unter den Auserwählten waren viele Unbekannte, aber auch unzählige Personen des öffentlichen Lebens wie Politiker, Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Tänzer und Musiker. Deren Porträts finden sich bei Cosman zu einem visuellen Who is Who der kulturellen Elite der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zusammen und machen Cosman zu einer der interessantesten Künstlerinnen ihrer Zeit, deren Werk noch zu wenig bekannt ist.
1921 geboren und in Düsseldorf aufgewachsen, floh Cosman 1937 vor dem wachsenden Antisemitismus und beendete ihre Schulausbildung in der Schweiz. Im Sommer 1939 zog sie weiter nach England, um an der Slade School of Fine Art Kunst zu studieren. 1945 liess sie sich in London nieder und begann eine Karriere als freischaffende Künstlerin und Illustratorin, deren Arbeiten in Sach- und Kinderbüchern, nationalen und internationalen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden und in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland zu sehen waren.
Cosman entwickelte schon früh eine besondere Art, Porträts zu zeichnen, die von Lehrern wie William Rothenstein, einem der berühmtesten Slade-Dozenten, den Gerty Simon um 1934 fotografiert hatte, als „falsch“ gerügt wurde. So begann sie ihre Skizze mit den Augen, fügte dann die Nase hinzu und fuhr, mit der Ähnlichkeit zufrieden, mit dem Mund fort. Wäre ihr Modell nicht gut „getroffen“, hätte sie den Versuch aufgegeben und nochmals neu begonnen, um erst dann die restlichen Gesichtszüge zu vervollständigen.
Das aussergewöhnliche, unfertig anmutende Porträt Thomas Manns (Abb. 2) illustriert Cosmans Herangehensweise. Cosman begegnete dem Schriftsteller, den sie als Teenager bewundert hatte, bei einer Pressekonferenz in London im Mai 1947 zum ersten Mal persönlich.Trotz Verzichts auf unnötige Details wie Stirn, Ohren, Kinn und Haare ist Thomas Mann sofort und eindeutig zu erkennen. Mit den knappsten Mitteln fängt Cosman den Charakter des Dargestellten ein, in dem sie nun, von ihrem früheren Idol enttäuscht, einen Hauch von Arroganz zu entdecken glaubte.
Cosmans Ruf als eine der führenden Zeichnerinnen Englands fußt auf ihrem einzigartigen Talent, auch die flüchtigsten Eindrücke auf dem Papier festhalten zu können. Sie entwickelte eine Technik, die es ihr erlaubte, mit wenigen, schnell hingeworfenen Strichen spontan und unbefangen Momentaufnahmen einzufangen. In diesen „gezeichneten Schnappschüssen“ kommen ihr Mut zur Konzentration aufs Wesentliche besonders zur Geltung. So zeigt sie den russischen Tänzer Mikhail Baryshnikov, anscheinend mühelos schwebend, während einer Aufführung des Balletts Vestris in London 1970 (Abb. 3). Cosman gelingt es hier, überzeugend die Illusion einer fliessenden Bewegung zu vermitteln.
Cosman legte großen Wert darauf, ihr Modell unbemerkt zeichnen zu können. Unter anderem spezialisierte sie sich auf Rückenansichten und schuf so einige der originellsten Porträts der Kunstgeschichte. Dirigenten, die bei der Ausübung ihrer Tätigkeit dem Publikum den Rücken zukehren, waren hierfür bestens geeignet. Der russische Komponist Igor Stravinsky faszinierte Cosman besonders. In den wenigen, kurzen Begegnungen fertigte sie hunderte Zeichungen an, die Stravinsky in sich oft nur geringfügig unterscheidenden Posen zeigen (Abb. 4). Zu einem imaginären Daumenkino arrangiert, erwecken sie Stravinsky als Dirigent zum Leben.
Der aus Wien stammende Kunsthistoriker Ernst Gombrich, ein langjähriger Unterstützer Cosmans, bewunderte sie „für die Sicherheit ihres Blickes, mit dem sie die Eigenart so vieler unserer bedeutenden Zeitgenossen festzuhalten verstand.“ Dieses Lob, das auch auf Gerty Simon zutrifft, könnte sich zum Beispiel auf das Porträt der aus Wien emigrierten Malerin Marie-Louise von Motesiczky beziehen (Abb. 5), die im Londoner Exil zu einer engen Freundin Cosmans wurde.
Nach Cosmans Tod 2017 kümmert sich nun der von ihr gegründete Cosman Keller Art and Music Trust um ihren Nachlass und den ihres Mannes, des in Wien geborenen Musikers and Musikologen Hans Keller. Cosmans Werke befinden sich in zahlreichen Institutionen in Großbritannien, Deutschland und Österreich und sind größtenteils online zugänglich:
National Portrait Gallery, London
Royal College of Music, London
Hunterian Museum and Art Gallery, University of Glasgow
In Kooperation mit der Kunstsammlung des Deutschen Bundestags bereitete die Berliner Akademie der Künste eine Ausstellung zu Cosmans 100. Geburtstag vor, die, coronabedingt verschoben, nun im März 2022 eröffnet werden wird.