Eine Schwarz/Weiß-Fotografie von der Kunsthändlerin Grete Ring: sie trägt einen schwarzen Hut, ein gemustertes Kleid, verschränkt ihre Arme und hält einen Auktionskatalog aufgeschlagen auf ihrem Schoß und beobachtet konzentriert das Geschehen.
Bela Balassa, Grete Ring und Max J. Friedländer bei einer Auktion, 1931, Foto: Privatsammlung

Revisited: Der junge Künstler und sein Händler in Paris und Berlin

27.11.2023 von Samia Saouma

Artikel von Dr. Grete Ring aus einem neuen Blickwinkel

Grete Ring veröffentlichte schon in frühen Jahren Aufsätze in den Kunstkanon bestimmenden Blättern der Zeit (Abb. 1). 1931 schrieb Grete Ring einen Artikel für die Zeitschrift Kunst und Künstler, Heft 5, mit dem Titel „Der junge Künstler und sein Händler in Paris und Berlin“. In dem Text analysiert sie den Kunstmarkt in beiden Hauptstädten. Sie bevorzugt das Pariser System mit seiner Hierarchie von Händlern, die die Werke eines noch unbekannten Künstlers ankaufen, gegenüber dem Berliner Modell, in dem die Werke junger Künstler nur auf Kommission angenommen werden. Letzteres erweckt laut Ring kein Vertrauen bei den potenziellen Käufern, wenn nicht einmal deren eigene Kunsthändler die Werke vorher kaufen wollen.

Ein farbig illustriertes Titelblatt der Kunstzeitschrift Kunst und Künstler aus dem Jahr 1929, das Heft 1 in dem Grete Ring ihren Artikel zu den Sammlern in Paris und Berlin veröffentlicht hatte

Frontispitz der Zeitschrift Kunst und Künstler aus dem Jahr 1929, Heft 1

Wie würde ein Vergleich der Kunstszene in den beiden Städten heute aussehen? Ist Berlin immer noch ein Magnet für zeitgenössische Kunst und Künstler*innen? Sind in den Pariser Kunsträumen nur etablierte Namen zu finden oder gibt es auch Raum für Experimente?

Was die Galerien betrifft, so haben in den letzten Jahren mehrere große Galerien Dependancen in Paris eröffnet, wie David Zwirner (2019) oder Hauser & Wirth (2023). Auch Berliner Galerien wie die Galerie Max Hetzler (2014) und Esther Schipper (2022) haben den Schritt gewagt. Wir haben Samia Saouma (Abb. 2), die Leiterin der Pariser Niederlassung von Max Hetzler, gebeten, auf Gretes Artikel zu antworten und über ihre eigenen Erkenntnisse im Blick auf die beiden Städte zu berichten.

Ein Porträtfoto von einer Frau mit schwarzen Haaren und großen Ohrringen, es zeigt die Kunsthändlerin Samia Saouma der Galerie Max Hetzler in Paris.

Galeristin Samia Saouma, © Courtesy Galerie Max Hetzler Berlin | Paris | Londres. Photo: Def Image

Berlin-Paris: 2023

„Die Galerie Max Hetzler eröffnete ihre erste Zweigstelle im Ausland im Jahr 2014 in Paris, später folgten zwei weitere in London und Marfa (Texas). Diese Entscheidung beruhte auf der Tatsache, dass die Künstler*innen der Galerie sehr daran interessiert waren, ihre Arbeit in der französischen Hauptstadt zu zeigen, da sie sehr von der renommierten Kunstszene angetan waren.

Der Ruf großer Museen wie des Louvres, des Centre Pompidous, welches die bedeutendsten Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst in Europa bewahrt, und des Musée d’Art Modernes de Paris mit seinem dynamischen Programm spielte dabei eine wesentliche Rolle.

Wir haben unsere Räume in Paris mit einer Ausstellung von Albert Oehlen eröffnet, dessen Name seit den frühen 1980er-Jahren mit der Galerie verbunden ist und den ich Anfang der 1990er-Jahre in meiner Galerie zeigen durfte.

Einblick in ein ehrwürdiges Gebäude, die Galerie Max Hetzler in Paris.

Die Galerie Max Hetzler in Paris, © Courtesy Galerie Max Hetzler Berlin | Paris | Londres. Photo: Def Image

Der große Unterschied zwischen Paris und Berlin ist meiner Meinung nach der Kontrast in der Museumsszene. In Paris sind die oben aufgeführten, zusammen mit vielen anderen, im Ausstellungsbereich äußerst aktiv. Einige Ausstellungen im Pompidou gelten als historisch, wie zum Beispiel: Paris – Berlin, Paris – New York und Paris – Moscou, ganz zu schweigen von Qu’est-ce que la Sculpture Moderne, die im gesamten Museum auf jeder Etage präsentiert wurde, mit Werken von Brancusi bis Arte Povera, Minimal Art…

Maler*innen stellen gerne in Paris aus. Das fällt besonders auf, da sie, wenn sie in der Stadt sind, ganze Tage damit verbringen die Sammlungen des Louvres, des Centre Pompidous oder  des Musée d’Orsays zu genießen. Ganz zu schweigen von den Ausstellungen wie beispielsweise Manet-Degas im Musée d’Orsay oder Paula Rego im Musée de l’Orangerie, Giacometti and Egypt in der Fondation Giacometti, Monet-Joan Mitchell in der Fondation Louis Vuitton, David Hammons in der Pinault Collection und so weiter …

Wenn Künstler*innen Paris für ihre Ausstellungen besuchen, fühlen sie sich äußerst inspiriert.

In Berlin gibt es kaum Vergleichbares, wenn es um Ausstellungen in Museen geht. Und es ist schwierig, die wahren Gründe dafür offenzulegen und zu verstehen. Vielleicht könnten der Mangel an finanziellen Mitteln, die fehlende Philanthropie oder der mangelnde Ehrgeiz, über die permanenten Sammlungspräsentationen hinauszugehen, dies erklären.

Andererseits bleibt Berlin sehr stark, wenn es die in der deutschen Hauptstadt lebenden Künstler*innen und die vielen inspirierenden Galerien mit tadellosem Programm geht.

Für einige Zeit gab es in Paris die Kunstmesse FIAC. Dann übernahm Paris+ par Art Basel den Termin und erwies sich als großer Erfolg. Berlin versuchte, eine Kunstmesse zu organisieren, aber das lag nicht in der DNA der Stadt.

Berlin kann sich rühmen, das Konzept des Gallery Weekends erfunden zu haben, das in so vielen Kunstmetropolen übernommen wurde. Es bleibt das erfolgreichste von ihnen und ein wichtiges Datum im Berliner Kunstkalender. Früher kamen zu diesem Anlass jedes Jahr Sammler*innen verschiedener Kontinente nach Berlin. Heute sind es vor allem europäische und deutsche Sammler*innen, da sich die Kunstwelt so stark ausgeweitet hat. Nichtdestotrotz erweist es sich jedes Jahr als großer Erfolg.

Das Format des Gallery Weekends gegenüber der Kunstmesse ist sinnbildlich für die Berliner
Kunstszene. Dabei liegt der Fokus mehr auf den Ausstellungen als auf einer Werkauswahl wie  bei einer Messe.

Nicht zuletzt besuchen mehr Interessierte die Berliner Galerien als die Pariser Galerien. Vielleicht, weil es an großen Museumsausstellungen mangelt? Auf jeden Fall sind die Programme der Galerien im Allgemeinen von hohem Niveau und sie „entdecken“ oft Künstler*innen, die später die Aufmerksamkeit anderer Galerien außerhalb Deutschlands auf sich ziehen.

In Paris haben wir gerade damit begonnen, Talks in der Galerie zu organisieren und das Konzept erweist sich als Erfolg, während in Berlin das regelmäßige Treffen mit den Künstler*innen im Rahmen ihrer Ausstellungen bereits seit einiger Zeit etabliert ist.

Hinsichtlich des Marktes sind französische Sammler*innen, abgesehen von zwei großen Sammlern, die eine großartige Stiftung und einen einzigartigen und schönen Ausstellungsraum eröffnet haben, vermutlich weniger mit den Künstler*innen verbunden, deren Werke sie sammeln. Es ist ziemlich beeindruckend zu sehen, wie viele deutsche Sammler*innen jeden Künstler und jede Künstlerin, die sie bewundern, konsequent sammeln und regelmäßig neue Werke aus neuen Serien oder Medien zu ihren Sammlungen hinzufügen. Das ist durchaus bemerkenswert und dürfte Museen und Sammler*innen im Ausland inspirieren. Ich kann die Sammlung Hoffmann, das Museum Brandhorst, die Sammlung Falckenberg, das Museum Frieder Burda, die Langen Foundation und die Sammlung Boros nennen.

Ein weiterer Pluspunkt Berlins ist die Anzahl der großen und/oder beeindruckenden Räume, die es Galerien ermöglichen, den Künstler*innen einzigartige Ausstellungsräume anzubieten.
Keine andere Kunstmetropole ist auf diesem Niveau vergleichbar.“

 

Samia Saouma, Partner Galerie Max Hetzler, Paris