Auf einer Staffelei steht eine Papierarbeit von Max Liebermann, die von einem Fotografen im Vordergrund abfotografiert wird
Oliver Ziebe bei der fotografischen Erschließung einer druckgrafischen Arbeit aus dem Bestand der Liebermann-Villa. Digitale Reproduktionen in hochauflösender Qualität sind ein wertvolles Arbeitsinstrument für die Erforschung einzelner Details auf den Blättern. Foto: Denise Handte

Mind the Gap

04.5.2022 von Denise Handte & Alice Cazzola

Provenienzrecherchen zu druckgrafischen Arbeiten von Max Liebermann. Ein kurzer Einblick

Zur aktuellen Ausstellung „Schwarz-Weiß“ in der Liebermann-Villa am Wannsee geben Denise Handte und Alice Cazzola einen kurzen Einblick in die Recherchen zur Herkunft druckgrafischer Arbeiten, die derzeit im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts stattfinden. Mit welchen besonderen Herausforderungen sehen sich Provenienzforscher*innen konfrontiert, wenn sie Druckgrafik untersuchen? Und wie gehen sie bei der Recherche vor?

Seit Dezember 2020 untersuchen wir einen Teil des Sammlungsbestands der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e. V., dem Trägerverein des Museums, im Hinblick auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Bei dem Großteil der zu untersuchenden Objekte handelt es sich um druckgrafische Werke aus der Hand von Max Liebermann, die verschiedene Schaffensphasen und das gesamte malerische Themenrepertoire des Künstlers widerspiegeln.

Ausgangslage

Bei der Untersuchung grafischer Arbeiten befinden wir uns auf einem ganz speziellen Forschungsterrain. Erstens sind druckgrafische Arbeiten – im Gegensatz zu Gemälden, Zeichnungen, Pastell- oder Aquarellarbeiten – schwieriger zu identifizieren, da es sich bei den einzelnen Blättern per Definition nicht um Unikate handelt, sondern um multiple Exemplare in bis zu hundertfacher Auflage. Zweitens werden die Arbeiten oft in Konvoluten verkauft, das heißt zum Teil ohne Titel oder Motivbeschreibungen der einzelnen Blätter, oder ohne Auflagenzahl. Bis heute wirken sich die der Gattung Grafik lange Zeit zugeschriebenen Eigenschaften, etwa ihre Bewertung als nicht eigenständiges Kunstwerk und die auf dem Kunstmarkt erzielten niedrigen Preise, auf die eindeutige Objektidentifizierung aus. Drittens wird die Notwendigkeit der Aufbewahrung von Kaufunterlagen oder die Erstellung von konservatorischen Zustandsberichten oftmals nicht erkannt.

Ablauf der Recherchen

Für die Provenienzforschung zu grafischen Arbeiten sind die Objekte selbst die primäre Quelle. So steht etwa die standardisierte Erfassung und Erschließung der Grunddaten der Sammlung im Mittelpunkt: Die Objekte werden gemessen und sorgfältig untersucht, durch eine Papierrestauratorin begutachtet und restauratorisch vorbereitet, um dann ihre Provenienzmerkmale fotografisch erschließen zu können. Wichtig sind die Bildrückseiten, auf denen oftmals Hinweise auf Vorbesitzende zu finden sind. Zu den Merkmalen, die Anhaltspunkte für eine Station in der Objektbiografie liefern können, zählen zum Beispiel Sammler*innen- oder Zollstempel, handschriftliche Anmerkungen oder Aufkleber von Auktionshäusern, Galerien oder Kunsthandlungen.

Eine Papierrestauratorin sitzt an zwei großen Tischen mit mehren druckgrafischen Blättern, die sie untersucht.

Meike Mentjes untersucht einzelne Blätter im Rahmen des Projekts zur Provenienzforschung und bereitet diese für die Fotokampagne vor. Dabei bestimmt die Papierrestauratorin u.a. die Papiersorte der Werke – handelt es sich beispielsweise um Japan-, Bütten- oder Velinpapier? Das sind Angaben, die bei der Identifizierung einzelner Werke und der Frage nach ihrer Herkunft enorm hilfreich sein können. Foto: Alice Cazzola

Weitere aufschlussreiche Primärquellen sind in der Liebermann-Villa aufbewahrt: Unterlagen, die von Vorbesitzenden stammen, Rechnungen oder Werkbeschreibungen aus ehemaligen Auktionsverkäufen. Dazu kommen weitere Quellen aus externen Archiven, wie zum Beispiel das Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin oder das Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels in Köln. Dort finden sich Informationen zu einzelnen Personen, Ausstellungen und Ausstellungshäusern, Kunsthandlungen, Galerien und musealen wie privaten Sammlungen, die ggf. mit den Forschungsobjekten in Berührung kamen.

Anschließend können solche Untersuchungen durch Recherchen in der Sekundärliteratur erweitert werden. Unerlässlich sind die Werkverzeichnisse zu Liebermanns grafischen Arbeiten von Gustav Schiefler und Sigrid Achenbach. Sie unterstützen nicht nur bei der Identifizierung der Werke, sondern führen oftmals wichtige Hinweise zu den Objekten und ihrer Herkunft an.

Auf einer Staffelei steht eine Papierarbeit von Max Liebermann, die von einem Fotografen im Vordergrund abfotografiert wird

Oliver Ziebe bei der fotografischen Erschließung einer druckgrafischen Arbeit aus dem Bestand der Liebermann-Villa. Digitale Reproduktionen in hochauflösender Qualität sind ein wertvolles Arbeitsinstrument für die Erforschung einzelner Details auf den Blättern.
Foto: Denise Handte

Über die Literaturrecherchen hinaus sind heute auch Online-Ressourcen ein unverzichtbares Werkzeug. Wir können Datenbanken und Suchmaschinen befragen, die provenienzforschungsrelevante Informationen enthalten, darunter  die vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste betriebene Lost Art-Datenbank zur Erfassung von Kulturgutverlusten, die Auktionsdatenbank Artprice mit Datensätze zu Auktionsergebnissen weltweit, die digitalisierten historischen Bestände der Universitätsbibliothek Heidelberg sowie der Getty Provenance Index®, der u. a. Inventare, Auktionskataloge und Galeriebücher zugänglich macht. Besonders hilfreich für Papierarbeiten sind die verschiedenen Wasserzeichen- und Sammler*innenstempeldatenbanken. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die sogenannte „Lugt-Datenbank‘“, die ihre Informationen aus dem 1921 erschienenen Hauptwerk des niederländischen Kunsthistorikers und Kunstsammlers Frits Lugt (1884-1970), Les marques de collections de dessins et d’estampes, bezieht.

Doch wie gehen wir damit um, wenn am Objekt selbst keinerlei Hinweise zu finden sind und uns die letzte Provenienz nicht weiterführt? Wenn keine Auflagenzahl angegeben und eine Identifizierung trotz aufwendiger Recherchen in der Literatur und in Archiven nicht möglich ist?

Liebermanns Netzwerk

Neben dem hilfreichen Austausch mit Fachkolleg*innen, der ggf. zu neuen Erkenntnissen und Perspektiven führt, sollten wir transparent, verständlich und präzise mit Lücken in der Provenienz und Unsicherheiten umgehen. So können sie unter Umständen durch neue Quellen zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden. Durch tiefgehende Untersuchungen zu einzelnen Objekten können wir außerdem neues Wissen zur Liebermann-Forschung an sich beitragen.

Denn ganz abgesehen vom Schicksal einzelner Bilder wurde im Verlauf der Forschung klar, wie eng Liebermanns Druckgrafik mit seinem Netzwerk in Berlin verbunden ist. Für die öffentliche Wahrnehmung, Verbreitung und Rezeption von Liebermanns druckgrafischem Werk haben sich zu Lebzeiten des Künstlers zahlreiche Personen aus dem Kunsthandel, dem Verlagswesen, der Kunstkritik, den Museen sowie Sammler*innen eingesetzt – etwa die Familie Cassirer. Die Vettern Bruno (1872-1941) und Paul (1871-1926) Cassirer hatten im Jahr 1898 die Kunsthandlung Cassirer in Berlin gegründet und standen in enger Verbindung zur Berliner Secession. Nachdem sie sich 1901 trennten, führte Paul weiterhin die Kunsthandlung. Bruno gründete einen Verlag, der ab 1902 die Zeitschrift Kunst und Künstler. Illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe herausgab und illustrierte Bücher mit Originalgrafik veröffentlichte. Hier war Liebermanns Grafik prominent vertreten. Liebermann-Drucke erschienen ferner in Kunstzeitschriften wie Kunst und Künstler, Pan, Wiener Graphischen-Künste und Zeitschrift für Bildende Kunst.

Dank Liebermanns engen Kontakten zu den Direktoren der Kupferstichkabinette wie Max J. Friedländer in Berlin und Max Lehrs in Dresden gelangte seine Druckgrafik in die wichtigsten Museumsbestände Deutschlands. In den bedeutendsten Liebermann-Privatsammlungen wie die des Großindustriellen und Bankiers Eduard Arnhold, Margarete Oppenheims und Julius Sterns müssen sich nebst Gemälden und Zeichnungen auch Druckgrafik befunden haben. Umfangreiche Grafiksammlungen mit Liebermann-Drucken waren neben vielen weiteren Namen unter anderen im Besitz des Kunstkritikers Curt Glaser, des Geschäftsmanns David Leder und des Rechtsanwalts Ismar Littmann.

Ausblick

Obwohl die Provenienzrecherche zu Liebermanns Druckgrafik eine komplexe Aufgabe darstellt, konnten im ersten Projektjahr bereits Forschungsergebnisse erzielt und Provenienzlücken teilweise geschlossen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt findet sich zunächst kein druckgrafisches Werk, das definitiv als belastet oder als NS-Raubgut einzustufen wäre. Es bleiben allerdings noch viele Fragen offen, für die Kontextforschung und Tiefenrecherchen in Archiven nötig sind.

Einen ausführlicheren Bericht über Provenienzforschung an druckgrafischen Blättern und ausgewählte Herkunftsgeschichten finden Sie im Katalog zur aktuellen Ausstellung „Schwarz-Weiß“, den Sie vor Ort im Museumsshop oder im Online-Shop erwerben können. Am 2. Oktober 2022 eröffnen wir in der Liebermann-Villa die Ausstellung „Wenn Bilder sprechen“, in der die Ergebnisse unserer Untersuchungen präsentiert werden. Passend dazu wird Anfang Oktober ein ausstellungsbegleitender Open-Access-Band über die Universität Heidelberg veröffentlicht, dessen Veröffentlichung wir rechtzeitig ankündigen werden.